Ursprung und Wanderungen der 'Sonnensöhne'
von Marcel F. Homet
Urmenschen unterwegs
Ein Geschöpf schritt langsam vorwärts, mühselig in unwirtlicher Gegend vorwätstsstrebend. Ein wandernder Urmensch marschierte an der Spitze seiner Horde: männliche und weibliche Geschöpfe und Junge beiderlei Geschlechts. [...] Im Hintergrund der Wandernden und nur noch sichtbar wegen seiner Höhe und seines schimmernden Glanzes erhob sich ein ungeheures Eismassiv. Wie hoch mochte dieser Gletscher wohl gewesen sein? Vielleicht drei- bis viertausend Meter - und seine Länge? Er muß wohl zu einer ungeheuren Eiswelt gehört haben, die über das heutige Kanada und den ganzen Norden Europas bis nach Nord- und Ostasien gereicht hat. Sie deckte auch den Ort, wo sich später die Beringstraße, anfangs noch ein Landweg, aus dem Eise schälte. Es war vielleicht die weiteste Ausdehnung der Gletscher, welche die Erde jemals erlebt hatte. [...]
Nach dem mühseligen Marsch des Tages versammelten sich die Wandernden abends an einem Rastplatze. Sie standen und hockten um ein Erdloch. Einige von ihnen waren gestorben. Obschon sie ihre Gedanken vorab den unmittelbarsten Notwendigkeiten des Lebens widmen mußten, manifestierte sich bei ihnen der Glaube an eine Gottheit und an ein Weiterleben nach dem Tode. Eine Bestattung war für sie eine wichtige Zeremonie. Um ganz sicher zu sein, daß die Verstorbenen eines Tages wieder ihren weiten Weg über die Ere aufnehmen konnten, legten sie sie seitlich zusammengerollt in die Erde: in Hockerstellung, mit den Knien unter dem Kinn zusammengebogen. Wie der Fötus, die Leibesfrucht, im Mutterleib liegt, so gaben sie ihre Toten der Erde zurück: bereit zum Wiedergeborenwerden. Und einer von ihnen, dr gerade einen roten Stein gefunden hatte, so rot wie Blut, und rot wie die Nachgeburt, die dem Neugeborenen folgt, legte ihn neben den Leichnam. Dann wurden weitere Steine aufgehäuft, um seinen Schlaf durch die Jahrtausende zu bewachen.
Aber es kam eine Zeit, da verschwanden die Gletscher, ganze Teile des Meeres wurden frei, das Klima wurde milder, und die langsam wandernden Urmenschen, die sich s lange im Süden aufgehalten hatten, begannen wieder nach Norden zu ziehen. Sie folgten den Herden der Rentiere, Bisons und Mammuts, die ihre gewohnheitsmäßige Jagd- und Nahrungsquelle waren: die Nahrung der kalten Gebiete. Die Nachkommen des Geschöpfes, des Urmenschen, die ganzen Horden mit Männern, Frauen und Kindern, folgten diesen Bewegungen. Das dauerte Jahrtausende, Jahrtausende.
Und wieder formten sich Gletscher, diesmal mit einer Schnelligkeit, daß in den großen Steppen von Kanada und Sibirien Tausende von Mammuts einfroren, bevor sie noch Zeit hatten, die eben noch verschlungenen tropischen Pflanzen zu verdauen. [1] Es war ein niederschmetternder Klimawechsel. Alle Urtraditionen, sei es vom Kap der guten Hoffnung im Süden Afrikas, von Mittelamerika oder welch immer andern Weltteilen, wo Menschen hausten, erinnern an diese Epoche des Schreckens. Eisregen stürzten auf die Erde, die Erdachse schwankte, die Pole verschoben sich. Warme Gegenden wurden mit unheimlicher Schnelligkeit in Eiswüsten verwandelt.
Erdgeschichtliche Epochen lösten einander ab. Auf Eiszeiten folgten Warmzeiten. Gebirge wölbten sich auf, neue Küsten bildeten sich, andere versanken. Der atlantische Urkontinent dehnte sich einst wohl von den heutigen äquatorialen Zonen bis in den hohen Norden. Dann versank sein nördlicher Teil und der Restkontinent, die Insel Atlantis, blüühte, bis auch sie einem Kataklysmus, einer Naturkatastrophe, zum Opffer fiel. [...]
Die ersten Atlantiden
Nach Jahrhunderten der Anstrengungen hat die moderne Wissenschaft erkannt, daß die meisten erdgeschichtlichen Vorgänge, die uns so plötzlich, katastrophal und unvorhersehbar erscheinen, doch nichts anderes sind als Wiederholungen von Ereignissen, die gesetzmäßig angeordnet scheinen. Manche kosmologische[n] und geologisch[n] Phänomene treffen regelmäßig wieder die gleichen Gebiete, welche, Jahrtausende vorher, von ihnen betroffen worden sind. Andere Gebiete werden wieder wunderbarerweise unberührt gelassen, bis auch ihre Stunde schlagen mag und sie verschwinden müssen. Dies alles folgt einem Prozeß, dessen Auswirkungen wir erst [zu] studieren begonnen haben, und in dessen wirkende Ursachen noch niemand eingedrungen ist.
Wir wissen bereits, daß die letzte Atlantikbrücke zwischen Europa und Amerika eingestürzt ist. Vor diesem Zeitpunkt befanden sich unsere >Geschöpfe< und ihre Nachkommen noch zwischen Europa und Amerika. Sie lebten abgeschlossen auf einem atlantischen Kontinent oder vielleicht auf einer Reihe großer Inseln, deren südlichste Spitze den selben Breitengrad erreicht haben mochte wie die Mündung jenes Stromes, der später Amazonas genannt wurde.
Während dieser Jahrtausende müssen die günstigen klimatischen Bedingungen eine fortwährende Änderung der Nahrung ermöglicht haben. Eine Wandlung der Umwelt und des Lebens fand statt, welche die Menschen und ihr Aussehen änderte. Es ist anzunehmen, daß sich ihre Nasen bei einigen Stämmen verlängert und zu Adlernasen gebogen hatten. Der Wuchs des Menschen, der nun kein >Urmensch< mehr war, hatte sich beachtlich erhöht. Es entwickelten sich richtige Riesen aus diesen Menschen im Vergleiche zu den anderen Rassen der Erde, die stets klein geblieben waren.
Aber nicht nur der Körper dieser Menschen, auch ihr Geist änderte, entwickelte sich. Schon hatten sie eine Tradition, welche von Generation zu Generation wuchs und sich bis auf unsere Tage erhalten hat. Besonders bei den Eskimos kann man hier noch aus Urquellen schöpfen. Auf dem großen Meere schuf Castor zwei Menschen, die sich trennten, so heißt es, und einer wurde Vater der Eskimos, von dem anderen stammen die Europäer ab. Diese Tradition scheint darauf hinzuweisen, daß die Atlantier einstmals schon vom Nordteil des untergehenden atlantischen Kontinents aufgebrochen sind, um sich dann nach Osten und Westen auszubreiten.
Ihre Waffen und Werkzeuge hatten schon eine gewisse Vollkommenheit erreicht. Es gab feinste Feuersteinmesser, doppelte und einfache Schaber, welche für Gravierungen in Knochen und Elfenbein verwendet wurden, scheibenförmige Kratzer, Sägen mit regelmäßigen Zähnen, Wurf- und Stoßwaffen und schließlich aus Knochen oder Geweihen gefertigte Lanzen- und Harpunenspitzen, die meisterhaft zugeschnitten und poliert wurden.
Es wurden allmählich auch Mittel entdeckt, um die Häute und Felle der Tiere bearbeiten und zusammenfügen zu können. Mit einem scheibenförmigen Schaber wurde das Leder gegerbt und geschmeidig gemacht. Außerdem wurde - vor mindestens zehn- bis zwölftausend Jahren - die Nähnadel erfunden. Es handelte sich dabei um ein sorgfältig poliertes Walroßelfenbeinstückkchen, in das man mit Hilfe eines Steinstichels das Nadelöhr bohrte. Für den Faden wurden Walroß- oder Seehundsehnen geduldig mit dem Kratzer bearbeitet. Diese Methode kann man noch heute bei einzelnen Eskimostämmen beobachten, deren lebensweise sich seit der Dämmerstunde der Menschheit nur wenig geändert hat.
Was aber tut ein Volk, dessen materielle Kultur an einem Punkte angelangt ist, der schon ein relativ bequemes Leben ermöglicht, ein Leben, das bis zu einem gewissen Grade frei von Sorgen ist, welches nicht mehr restlos ausgefüllt ist [...] mit dem Kampfe um das nackte Dasein? Es kann sich in vermehrtem Maße, unter der Führung seiner Prieseter-Eingeweihten, dem Dienste der Gottheit widmen...
Auch bei den Atlantiden hat sich dies gezeigt. Versuchen wir sie uns vorzustellen, wenn sie ihre Gottheit darum baten, ihnen das zu bringen, was sie zum Leben dringend nötig hatten:
Die tiefe Höhle lag in einem geheimnisvollen Dunkel. Stille herrschte, nur von Zeit zu Zeit fielen Wassertropfen mit hellem Klang in flache Becken, die sich im Fels gebildet hatten. Plötzlich tauchte ein Lichtschimmer auf, wurde größer, kam näher, blendete. Das kleinste Kristallstückchen des Felsens, der kleinste Tautropfen begann mit einem Male wie Diamanten zu leuchten, denn dieses Licht, das sich immer mehr näherte, verursachte nicht den geringsten Rauch.
Da unterschied man eine Prozession von weißgekleideten Menschen. An der Spitze gingen Lichtträger. Sie hielten das Licht in ihren Händen und wirkten wie >wandernde Sonnen<. Sie sind das lebendige Vorbild der unzähligen in Stein gravierten wandernden Sonnen, die mit Füßchen dargestellt wurden. Sie symbolisierten das künstliche Licht, das so mächtig sein kann wie die Sonne selbst. Und gerade dieses wichtige Symbol erschien der Wissenschaft undeutbar. [...]
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Marcel F. Homet wurde seinem Buch "Die Söhne der Sonne - Auf den Spuren vorzeitlicher Kulturen in Amazonas" entnommen, das 1958 im Walter Verlag, Olten u. Freiburg im Breisgau, erschienen ist. Da es uns trotz umfangreicher Recherchen nicht möglich war, einen aktuellen Lizenzhalter für dieses längst vergriffene Werk zu ermitteln, präsentieren wir diesen Text bei Atlantisforschung.de vorläufig als wissenschaftsgeschichtliche und atlantologie-historische Dokumentation zu Studien- und Forschungszwecken in einer redaktionellen bearbeiten, leicht gekürzten Fassung durch Atlantisforschung.de.
- ↑ Siehe: Das große Mammutsterben, in: Otto Muck, Atlantis: die Welt vor der Sintflut, Olten (Walter Verlag), 1956, Seite 333 ff. (Anmerkung des Autors)
Bild-Quellen
(1) Marcel F. Homet, "Die Söhne der Sonne - Auf den Spuren vorzeitlicher Kulturen in Amazonas", Olten u. Freiburg im Breisgau (Walter Verlag), 1958, S. 195
(2) ebd., S. 199
(3) ebd., S. 200
(4) ebd., S. 203