Sprachstammbaum und Kataklysmen

von unserem Gastautor Dr. Horst Friedrich (1992)

Abb. 1 Das Cover von Th. Bynons Werk aus dem Jahr 1981

Oliver Schnee hat als letzten Satz seiner gegen E. Morgan Kelley [1] gerichteten Kritik den in seinen Augen durch solche "häretischen" Gedankengänge offenbar gefährdeten Lesern den Ratschlag erteilt: "Als Einführung in Grundlagen und Methodik der historischen Sprachwissenschaft empfehle ich wärmstens Bynon 1981 (Abb. 1) oder eben auch Anttila 1972" (Schnee 92).

Mit dieser Empfehlung sucht Schnee nicht nur Rückendeckung bei der herrschenden Lehre, sondern er stellt zugleich seine Kritik als Ausdruck der herrschenden Lehre dar. Es soll offensichtlich der Eindruck erweckt werden, daß die von der Schulwissenschaft "geglaubten" Paradigmata für Kelleys Theorien ebensowenig Raum ließen wie Schnees Kritik.

Studiert man aber diese beiden so dringlich empfohlenen Standardwerke, die Schnee offenbar für Katechismen linguistischer "Rechtgläubigkeit" hält, so springt zweierlei ins Auge.

Erstens, wie weit doch noch die derzeitige Linguistik vom wissenschaftlich-verläßlichen Niveau der "exakten" Naturwissenschaften (obwohl auch deren Paradigmata nur provisorische sind) entfernt ist. Nur allzu recht hat also R. Anttila, wenn er zur Linguistik feststellt, daß hier "Jede Art von Radikalismus und Engstirnigkeit noch viel gefährlicher ist als in anderen Wissenschaften" (Anttila 1972, 331).

Bei einer so super-provisorischen Wissenschaft muß es nicht nur erlaubt, sondern sogar höchst willkommen sein, wenn jemand alternative oder ergänzende Szenarien vorträgt.

Zweitens präsentieren beide Autoren beileibe nicht das Bild einer sektiererhaft-erstarrten linguistischen "Scholastik". Im Gegenteil wird, mit unterschiedlichen Schwerpunkten, der durchaus provisorische Charakter der bisherigen Ergebnisse und Methoden der historischen Linguistik und die Ausbaufähigkeit ihrer Paradigmata hervorgehoben. Zu den Methoden schreibt etwa, neben seiner oben zitierten Warnung, Anttlla sehr offenherzig, "daß die genetische Linguistik im Grunde mehr eine Kunst als eine exakte Wissenschaftsdoktrin ist" (ebd. 25), und daß "die Findigkeit des Etymologen und seine erfinderische und kombinatorische Kraft nicht durch mechanische Regeln ersetzt werden können" (ebd. 331).

Abb. 2 Das Skizzleren von Sprachen-Stammbäumen nebst begleitenden Spekulationen ohne Berücksichtigung kataklysmischer Ereignisse in der Menschheits-Geschichte erscheint unrealistisch.

Es mögen diese kurzen Vorbemerkungen zunächst genügen, die hier vorgetragenen Anregungen eines Nicht-Linguisten im richtigen Licht erscheinen zu lassen. Der Verfasser glaubt, daß die historische Linguistik, die Lehre von der Evolution und Verzweigung der Sprachen, noch erheblicher nonkonformistischer Denkmuster-Infusionen bedarf, ehe sie sich zu einer wirklich seriösen und zugleich blühenden und fruchttragenden Wissenschaft entwickeln kann.

Eine dieser Denkmuster-Infusionen wird die unbezweifelbaren vor- und frühgeschichtlichen Kataklysmen betreffen müssen, welche die Menschheit wiederholt miterlebt hat. Das Skizzleren von Sprachenstammbäumen nebst begleitenden Spekulationen ohne Berücksichtigung der katastrophischen Dimension des Geschehens erscheint dem Verfasser ebenso unrealistisch und an der Sache vorbeigedacht wie etwa das detailreiche Ausmalen - in lyell-darwin'scher Manier – von Stammbäumen der Tierwelt unter Zugrundelegung einer nicht-katastrophischen Vergangenheit unseres Planeten.

Alle bisher vorgelegten Datierungsschemata zur Entwicklung/Verzweigung der Sprachen kranken, wie die paläontologischen "Stammbäume", zunächst daran, daß man letztlich keine plausible Erklärung hat, welche Ursachen die großen Verzweigungen bewirkt haben könnten. Aber nicht nur dieser Punkt ließe sich durch ein Ins-Kalkül-Ziehen der katastrophischen Dimension der Menschheitsvergangenheit aufhellen.

Abb. 3 Prof. Dr. Emilio Spedicato von der Universität Bergamo betrachtet 'Apollo-Objekte' als Auslöser rezenter Impakt-Katastrophen.

Es soll hier, als kleine Brainstorming-Übung, betrachtet werden, mit welchen in linguistischer Hinsicht relevanten Geschehnissen zu rechnen wäre, wenn etwa unsere zeltgenössische Welt einen Planetoiden-Kollisions-Kataklysmus im Sinne des von E. Spedicato (Abb. 3) (1991) vorgetragenen, durchaus realistischen Szenarios miterleben würde.

Zunächst ist zweifellos bei den Überlebenden mit einem so starken und singulären Psycho-Schock infolge der dem Planetoideneinschlag folgenden Ereignisse zu rechnen, daß bleibende sprachliche Veränderungen nicht ausgeschlossen sind. Vielleicht ist sogar die Annahme nicht ganz abwegig, daß - zumindest auf der dem einstürzenden Planetoiden zugewandten Erdhälfte - eine starke, von seiner Bahn ausgehende elektromagnetische Strahlung das Gedächtnis zusätzlich beeinträchtigt haben könnte, sei dieses nun im physischen Gehirn des Menschen oder in seinem "Energiekörper" (Sheldrakes "morphisches Feld"?) zu lokalisieren. Es könnte also sein, daß etwa ein zur Zeit der Katastrophe gerade auf einer Mondmission befindlicher Astronaut, sollte er überhaupt noch auf der Erde landen können, sich mit seinen überlebenden, postkataklysmischen Landsleuten plötzlich nur noch radebrechend verständigen könnte.

Mindestens ebenso folgenreich In linguistischer Hinsicht werden wohl unmittelbar postkataklysmische Flucht- und Wanderbewegungen überlebender Bevölkerungsteile auf der Suche nach unverwüstetem Lebensraum sein. wo der Anbau von Grundnahrungsmitteln noch möglich ist. So könnten sich etwa, nach Beruhigung der Meere, "boat people" aus Oman, Äthiopien und dem "weißen" Australien nach Ceylon retten. Man dürfte gespannt sein, was ihre Vermischung mit den überlebenden singhalesisch-tamilschen Bevölkerungsresten für interessante linguistische Phänomene produzieren würde. Die von 0. Schnee angeführte Linguistin Th. Bynon (1981, 230f) bringt ein sehr nachdenklich machendes Beispiel zur gegenseitigen Beeinflussung ganz unterschiedlicher Sprachen aus einem vielsprachigen Gebiet Südindiens.

Weiterhin ist damit zu rechnen, daß in bestimmten Gebieten (typisch etwa Peru, Neuseeland, Madagaskar, Südafrika, Kaukasus-Region) linguistisch stark heterogene Bevölkerungen durch die postkataklysmische Natur "gefangen-" oder zusammengehalten werden. Sollte es vor den Kataklysmen auch schon Hochkulturen gegeben haben, könnte sich dergleichen auch schon früher abgespielt haben. Welche linguistische Entwicklungen solche Ereignisse zur Folge haben könnten, lassen Bynons hochinteressante Ausführungen in ihrem Kapitel über die Kreolsprachen (ebd. 246-249) ahnen.

Es sei diese kurze Betrachtung beschlossen mit einem Hinwels auf die wegweisenden Arbeiten von Rupert Sheldrake über seine Theorie der "morphischen" respektive "morphogenetischen Felder" (seit 1981). Auch sie wird, als unabdingbar notwendige Denkmuster-Infusion, zukünftig in sprachgescichtllch-katastrophistlsche Überlegungen einzubeziehen sein.


Verwendete Literatur

Anttila, Raimo (1972): An Introduction to Historical and Coroparative Linguistics; New York/London

Bynon, Theodora (1981): Historische Linguistik; München

Schnee, Oliver (1992): "Kritik an Kelleys Aufsätzen"; in Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart IV (3) 32

Sheldrake, Rupert (1988): The Presence of the Past; London

Sheldrake, Rupert (19913): Das schöpferische Universum. Die Theorie des morphogenetischen Feldes; München, 19831; englisch (1981): A New Science of Life; London

Spedicato, Emilio (1991): "Apollo Objects, Atlantis, and the Deluge: A Catastrophical Scenario for the End of the Last Glaciation"; in NEARA Journal XXVI (1-2)


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von Dr. Horst Friedrich wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart 4-4/92. Bei Atlantisforschung.de erscheint er im Dr. Horst Friedrich Archiv nach der Online-Fassung unter: http://unterhaltung.freepage.de/cgi-bin/feets/freepage_ext/41030x030A/rewrite/geschichte/l2-wahl/l2-autoren/l3-friedrich/sprachstamm.html

Fußnote: