Sensationsfund: Menschen in Nordamerika um 130.000 v.Chr.

Eine neue Entdeckung stellt die bisher akzeptierten Datierungen zur Erstbesiedlung Amerikas radikal in Frage. Doch was steckt dahinter?

Ein Kommentar von Dr. Dominique Görlitz (aus dem Oman)

Abb. 1 Der international als 'Steinzeit-Segler' bekannt gewordene Experimental-Archäologe Dr. Dominique Görlitz kommentiert die vor wenigen Tagen gemeldete Entdeckung ca. 130.000 Jahre alter Mammutknochen mit deutlichen Spuren menschlicher Bearbeitung sowie der dazu gehörigen Werkzeuge in Kalifornien.

Mehr als 70 % unserer Erdoberfläche sind von Wasser bedeckt. Alle Spezies auf diesem Planeten, insbesondere die 'Wanderspezies' Mensch, musste sehr früh lernen, mit diesem Medium umzugehen. Nach den neuesten genetischen und archäologischen Funden entwickelte sich der moderne Mensch (Homo sapiens) vor mindestens 200.000 bis vielleicht sogar 400.000 Jahren. Insofern kann es überhaupt nicht verwundern, dass unsere frühen Vorfahren bereits in der Altsteinzeit gelernt haben, frühe Seefahrzeuge zu entwickeln und auch zu benutzen. [1]

Dieser neue Fund über menschliche Aktivitäten vor 130.000 Jahren in Amerika [2] ist daher alles andere als eine Überraschung. Seit etwa dem Jahr 2007 mehren sich die Hinweise, dass es in der Neuen Welt bereits vor Homo sapiens erste menschliche Aktivitäten gegeben haben könnte. Der Artikel in „Nature“, in dem die in Kalifornien erfolgte neue Entdeckung erstvröffentlicht wurde [3], thematisiert außerdem sehr ausführlich ältere Migrationsereignisse. Neben den bereits beschriebenen Wanderungen von Homo floresiensis (die "Hobbits" vor etwa 70.000 Jahren) gab es in Südostasien viel ältere maritime Wanderungen, wie die Besiedlung von Flores und Timor durch Homo erectus vor ca. 800.000 Jahren. Diese und viele weitere Paläo-Migrationen liefern deutliche Hinweise, dass schon Frühmenschen gelernt hatten, seetüchtige Schiffe zu bauen.

Abb. 2 Jungsteinzeitliche Darstellungen von Segelschiffen, die auch zur Grundlage des Baus der ABORA-Rietboote wurden, repräsentieren keineswegs den Anfang der Seefahrt, sondern vielmehr eine Fortsetzung weitaus älterer, paläolithischer Schiffbau-Traditionen.

Der aktuelle Fund in den USA stärkt auch die viel kritisierte Solutréen-Hypothese, nach welcher - vor den Clovis-Leuten aus Asien - eiszeitliche Europäer ab etwa 20.000 Jahren (vor heute) regelmäßig den Packeisschelfs im Nordatlantik folgten, um an der Ostküste Amerikas Robben und Mastodonten (Urelefanten) zu jagen. 2012 wurde auch hierzu ein entscheidender Fund in der Chesapeake-Bay gemacht, der das vermeintliche Alter der Erstbesiedlung bereits auf etwa 20.000 v.Chr. für Nordamerika zurückverschob. Alle meine Versuche 2012 mit den Entdeckern in Washington Kontakt aufzunehmen, um sie über anzunehmende Schiffsbilddarstellungen der Nachfolgekultur (ca. 14.000 Jahre alt) zu informieren, scheiterten. Warum weiß ich nicht.

Es existieren aber eine Vielzahl von jungpaläolithischer Schiffsdarstellungen in Nordspanien, die unwiderlegbar dokumentieren, dass die Erfindung seetüchtiger und sogar besegelter Wasserfahrzeuge lange vor der Jungsteinzeit erfolgte. Meine Rekonstruktionen mit den ABORA-Schilfbooten, die ich nach Felsbildern der Jungsteinzeit baute, stellen damit nicht den Anfang, sondern die Fortsetzung viel älterer Schiffskonstruktionen dar!

An dieser Stelle kann ich nur den Grundsatz betonen: Wir kennen nur 2-3 % des tatsächlichen Fundhorizonts. Das Meiste haben wir noch nicht entdeckt oder ist für immer verlorengegangen. Insofern macht dieser neue Fund in Amerika Hoffnung, dass Wissenschaftler die alten Denkbilder in die Schublade legen, und mit Hacke und Schaufel nach weiteren Artefakten suchen, um die Grenzen unseres Wissens weiter in die Vergangenheit zurück zu verschieben.


Externum


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Red. Anmerkung: Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: "Der Homo erectus fuhr zur See" (red); sowie: Michael Brandt, "Homo erectus - ein Seefahrer"
  2. Siehe: Frank Patalong, "Sensationeller Knochenfund - Muss die Geschichte Amerikas umgeschrieben werden? - Mammutfossilien und Werkzeuge deuten darauf hin, dass Amerika schon vor 131.000 Jahren von Menschen besiedelt war. Unklar ist, wer es derart früh übers Meer geschafft haben soll - und vor allem wie", Mittwoch, 26.04.2017, bei SPIEGEL-ONLINE (Wissenschaft)
  3. Siehe: Steven R. Holen, Thomas A. Deméré, Daniel C. Fisher, Richard Fullagar, James B. Paces, George T. Jefferson, Jared M. Beeton, Richard A. Cerutti, Adam N. Rountrey, Lawrence Vescera & Kathleen A. Holen, "A 130,000-year-old archaeological site in southern California, USA", in: Nature 544, S. 479–483 (27. April 2017) doi:10.1038/nature22065

Bild-Quellen:

1) Bild-Archive Dr. Dominique Görlitz und Atlantisforschung.de
2) ebd.