Karl Gripp und der Streit um Atlantis
von unserem Gastautor Günter Bischoff
Der Wissenschaftler Karl Gripp Abb. 1 konnte am Ende seines 94-jährigen Lebens auf eine bewegte Karriere zurückblicken, die nicht immer nach seinen Wünschen verlief. Im Jahre 1891 in Hamburg geboren, studierte er ab 1910 an den Universitäten Göttingen, Grenoble und Kiel und promovierte 1914 bei Ewald Wüst, einem renommierten Geologen und Paläontologen. Sechs Jahre später erfolgte die Habilitation an der Universität Hamburg mit einem Thema zu den Salzablagerungen im norddeutschen Raum. Zum außerordentlichen Professor für Geologie wurde er 1927 in Hamburg berufen, aber schon sieben Jahre später entließ man den erst 43-Jährigen in den vorzeitigen Ruhestand. Nach seiner eigenen Aussage geschah dies aus politischen Gründen. Im Jahre 1940 erhielt er dann in Kiel eine außerplanmäßige Professur für diluviale Vorgeschichte, wo er 1943 nach Einberufung seines Vorgesetzten zum Kriegsdienst der Leiter des Geologischen Instituts wurde. Nach 1945 erhielt er wiederum eine außerordentliche Professur, auch dieses Mal in Kiel. Bis zu seiner Emeritierung 1958 blieb er Direktor dieses Instituts.
Zu den Höhepunkten seiner wissenschaftlichen Laufbahn zählten zwei Expeditionen 1925 und 1927 nach Spitzbergen und weiterhin 1930 nach Grönland. Frühe Verdienste erwarb er außerdem bei der Erforschung der Höhlenbildung im Gipshorst bei Bad Segeberg.
Mit dem Thema Atlantis kam er schon bald nach dem 2. Weltkrieg in Berührung. Eine der vielen diesbezüglichen Hypothesen bekämpfte er von Anfang an. Im norddeutschen Raum kam zu dieser Zeit die vom Pastor und Archäologen Jürgen Spanuth (Abb. 2) propagierte Theorie vom Atlantis-Untergang in der Helgoländer Bucht auf. Karl Gripp äußerte sich bereits in einem seiner 1949 gehaltenen Vorträge abfällig darüber und nannte den Pastor einen „Phantasten“. [1]
Zu einer regelrechten Feindschaft kam es dann anfangs der 1950er Jahre, als K. Gripp Spanuths neue Funde von der ersten Tauchexpedition bei Helgoland wissenschaftlich untersuchen wollte. Als er erfuhr, dass schon Prof. Hermann Rose dem Atlantisforscher ein Gutachten ausgestellt hatte – ein positives noch dazu – brach bei K. Gripp ein alter Groll hervor. Genau jener Prof. Rose war es nämlich, der ihn 1934 endgültig des Plagiats und Meineids überführte, weil dieser die Forschungsergebnisse des Geographen Prof. Siegfried Passarge als seine eigenen ausgegeben hatte. [2] K. Gripp wurde also in dieser Zeit nicht aus politischen Gründen entlassen, sondern aufgrund einer persönlichen Verfehlung. Fortan betrachtete er J. Spanuth ebenfalls als seinen Intimfeind. [3]
Zum Höhepunkt der persönlichen Konfrontation entwickelten sich die Atlantisvorträge und anschließenden Diskussionen im Herbst 1953. Zwei Vorträge durfte J. Spanuth über seine Theorie halten, zunächst in Kiel und kurze Zeit darauf im Schloss Gottorf (Abb. 3) in Schleswig. [4] Eine Phalanx einflussreicher Fachwissenschaftler war versammelt, ausgewählt von Karl Gripp. Beide Vortragsabende ließen keine sachliche Diskussion zu, denn das Ergebnis stand schon vorher fest. Der Vortragende erhielt kaum Redezeit und auch nur wenige Minuten, um seine Dias zeigen zu können. Stattdessen durften seine Widersacher – die K. Gripp vorher auf seine Linie eingeschworen hatte – fünf Stunden referieren mit dem Ziel, Spanuth als inkompetenten wissenschaftlichen Laien bloßzustellen. Eine Zeitung sprach danach von einem „Scherbengericht“ und „Schauprozess“. Die „Wiener Kleine Zeitung“ bezeichnete den Geologen Gripp, den Wortführer dieser Gespräche, gar als „wilden Fanatiker“, der nur seine eigene Überzeugung gelten lassen wolle. [5]
Trotzdem erreichte dieser mit den beiden unwürdigen Atlantis-„Diskussionen“, Spanuth für viele Jahre wissenschaftlich zu diskreditieren. Auch Journalisten, die anfangs von der Richtigkeit der Thesen des Atlantisforschers überzeugt waren, schlossen sich nunmehr seinen Gegnern an. Unter Federführung von Prof. Richard Weyl erschien 1953 das Büchlein „Atlantis enträtselt?“, in dem mehrere Autoren Spanuths Vorstellungen gründlich widerlegen wollten – aber nicht konnten. Dessen fachliche Entgegnungen im vier Jahre später veröffentlichten Buch „… und doch: Atlantis enträtselt!“ zeigten deutlich die Schwächen ihrer Argumentation auf. Schließlich zogen seine Widersacher wegen Unhaltbarkeit der Gegenthesen ihr Buch zurück – ein in der Wissenschaft nicht alltäglicher Vorgang.
Das unehrenhafte Verhalten der Wissenschaftler um Gripp erklärt sich aus dem politischen Umbruch nach 1945, als viele von ihnen den Posten an Instituten und Hochschulen behalten wollten, wohl wissend, dass sie zuvor während der Zeit des Nationalsozialismus teilweise hohe Ämter innehatten und einer sogar SS-Sturmbannführer war. Nun bangten sie um ihre Karriere, denn K. Gripp war inzwischen Verantwortlicher für die Entnazifizierung an der Universität Kiel geworden und hatte sie an der Hand. Als Gegenleistung forderte er Nibelungentreue von ihnen.
K. Gripp war keineswegs ein aktiver Antifaschist, für den er sich nach 1945 ausgab. Nach 1934, als vorerst seine akademische Laufbahn unfreiwillig endete, stellte ihn der SA-Obergruppenführer Hinrich Lohse als Geologen ein, um einen Deich für den großen Adolf-Hitler-Koog zur Landgewinnung zu bauen. Als ein weiterer Geologe, Andreas Buth, die offiziellen Stellen warnte, dieses Projekt könne fruchtbares Marschland gefährden, drohte ihm K. Gripp mit der Einweisung in ein Konzentrationslager, wenn er diese Warnung weiter aufrecht erhält. [6]
Karl Gripps fachliche Aussagen zeichneten sich oft durch Unseriosität aus. Mehrfach äußerte er sich wissentlich falsch, allein um dem norddeutschen Atlantisforscher zu schaden. „Spanuth ist ein Phantast; auf Helgoland hat es nie Kupfer gegeben“ ereiferte er sich 1953, obwohl er selbst 1933 ein „mannigfaches Vorkommen von Kupfererzen“ auf dieser Insel in einer wissenschaftlichen Publikation erwähnte und diese Aussage 1964 wiederholte. [7] Er stellte auch die Bearbeitung von großen quadratischen Feuersteinplatten durch Menschenhand in Abrede, die Spanuth auf dem Nordseegrund gefunden hatte und unternahm den abwegigen Versuch, deren Entstehung durch die Meeresbrandung zu erklären. [8] Er kritisierte weiterhin zu Unrecht, dass die von Spanuth angenommene größere Insel Althelgoland in der Bronzezeit bereits nicht mehr existierte, weil dieses Gebiet seit mindestens 6000 Jahren unter Wasser gelegen habe.
Karl Gripp starb hochbetagt 1985 in Lübeck. Es fällt schwer, seine Lebensleistung positiv zu beurteilen. Ihm fehlten leider während seiner akademischen Laufbahn die Charaktereigenschaften, die einen allseits geachteten Wissenschaftler auszeichnen: Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Wahrhaftigkeit und ein menschlich korrekter Umgang mit Personen, die nicht die eigene Meinung teilen.
Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von Günter Bischoff (©), Dresden, wurde im August 2020 für Atlantisforschung.de verfasst.
Verwendete Literatur:
- Behrends, Arno, „Nordsee-Atlantis – Ursachen, Verlauf und Folgen der Atlantischen Kriege“, Grabert-Verlag, Tübingen 2012
- Gadow, Gerhard, „Der Atlantis-Streit“, Fischer Taschenbuchverlag, Frankfurt a.M. 1973
- Rathjen, Hans-Wilhelm, „Atlantis war Westeuropa“, Göttert-Verlag, Diepenau 2004
- Spanuth, Jürgen, „ … und doch: Atlantis enträtselt!“, Otto Zeller Verlag, Osnabrück 1980 (Nachdruck der Ausgabe von 1957
- Weyl, Richard, „Atlantis enträtselt?“, Walter v. Mühlau Verlag, Kiel 1953
Fußnoten:
- ↑ Siehe: G. Gadow, S. 58
- ↑ Quelle: A. Behrends, S. 320 f.
- ↑ Siehe dazu auch: Jürgen Spanuth (editiert von Bernhard Beier), "Die Geschichte der Aktion »Gripp contra Atlantis« (2) - Zur Person Karl Gripps und relevanten Bereichen seiner Vita"
- ↑ Siehe dazu auch: Jürgen Spanuth (editiert von Bernhard Beier). "Die Geschichte der Aktion »Gripp contra Atlantis« (3) - Die Atlantis-'Diskussion' vom 26. Oktober 1953 in Schleswig", Atlantisforschung.de --- sowie: Dieselben, "Die Geschichte der Aktion »Gripp contra Atlantis« (4) - »Fälschungen, Unterschiebungen, Unwahrheiten, Verfälschungen«", Atlantisforschung.de
- ↑ Quelle: G. Gadow, S. 47 - 63
- ↑ Siehe: H.-W. Rathjen, S. 451
- ↑ Siehe: J. Spanuth, S. 161
- ↑ Siehe dazu auch: Bernhard Beier, "Spanuths 'Steingrund'-Expeditionen und die Diskussion ihrer Ergebnisse", Atlantisforschung.de
Bild-Quellen:
- 1) Magnussen, Friedrich (1914-1987) (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Prof. Karl Gripp (Kiel 67.528).jpg (Lizenz: Creative-Commons, „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“)
- 2) Bild-Archiv Günter Bischoff
- 3) Wikimedia Commons, unter: File:Luftbild Kulturdenkmal Schloss Gottorf Schleswig-Holsteinische Landesmuseen - Foto Wolfgang Pehlemann IMG 6589.jpg (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)