James W. Mavor - II

Forscher- und Autorenportrait - Teil 2: Atlantisforschung

Abb. 1 Das Frontcover der aktuellen Neuauflage von James W. Mavors Klassiker "Voyage to Atlantis"

(red) Weltweite Popularität erlangte James W. Mavor (Jr.) mit seinen Beiträgen zur Atlantisforschung - vor allem in den 1960er Jahren -, die er in seinem 1969 erschienenen Bestseller "Voyage to Atlantis" (Abb. 1) präsentierte, das nicht nur auf Englisch, sondern auch in zahlreichen anderssprachigen Übersetzungen erschien - z.B. auf Italienisch, Ungarisch, und auch auf Deutsch.

Darin stellte er einführend fest: "Ich selbst bin davon überzeugt [...], daß es Atlantis wirklich gegeben hat, jedoch nicht als Insel im Atlantischen Ozean und nicht in jenem kontinentalen Maßstab, wie es die Legende haben will. Auch nicht in der Nordsee, auf den Bahamas, in Ostindien, Südamerika, Spanien, im Indischen Ozean oder in anderen Teilen der Welt, wie manche vermuten. Das Inselreich lag meiner Meinung nach in einem Meer, das Platon gut kannte: in der Ägäis, auf einer der Kykladeninseln. (Abb. 2) Die geographische Lage und die besonderen geologischen Unstände dürften dafür gesorgt haben, daß die Zerstörung von Atlantis, die tatsächlich erfolgt ist, jahrhundertelang -- bis in die Zeit der klassischen griechischen Kultur -- in der Erinnerung der Menschen blieb. Und Platon hat sie uns in seinem Bericht überliefert." [1]

Diesen Bericht betrachtete Mavor nicht als 'Platonischen Mythos', sondern als dessen Version einer uralten Sage, die auf einem tatsächlichen Ereignis beruhte, das "in seinen Auswirkungen so katastrophal und weitreichend" war, "daß aus ihm eine Fülle von Mythen und Sagen entsprungen ist. Angesichts der Kommunikationsgeschwindigkeit in jener frühen Zeit erhielten diese einzelnen Sagen in allen Kulturen, die von der Katastrophe betroffen waren, unabhängiges Leben." [2] Bei diesem Ereignis handelte es sich nach Mavors Meinung um die spätbronzezeitliche Minoische Eruption des Inselvulkans Thera (Abb. 3) (Santorin), die, wie er schrieb, "der Überlieferung Platons vom schrecklichen Untergang von Atlantis sehr wohl entspricht." Ihre Entdeckung durch die moderne Wissenschaft hebe "die Geschichte vom >untergegangenen Kontinent< aus dem Reich der Mythen und Übertreibungen hervor und läßt die Einzelheiten völlig begreiflich erscheinen." [3]

Abb. 2 Die Kykladeninseln in der südlichen Ägäis waren nach Mavors Meinung einst das Zentrum des Atlanter-Reiches.

James W. Mavor war zwar keineswegs der erste, der diese Annahme und die Vermutung eines Bezugs zwischen den in Platons Atlantisbericht geschilderten Ereignissen und der Minoischen Kultur vetrat, aber er nahm dies auch gar nicht für sich in Anspruch. Vielmehr wies er - was ihn ehrt und sein Buch für diejenigen interessant macht, die sich für die Geschichte der Atlantisforschung interessieren - sehr deutlich auch auf die Arbeiten früherer Verfechter der kretominoischen Atlantis-Hypothesen hin, wie z.B. James Baikie und K.T. Frost.[4]

Hauptsächlich wurde James W. Mavor aber, wie er deutlich machte, inspiriert durch die vorausgegangene Arbeit des griechischen Seismologen Angelos Galanopulos (1910-2001), den er bei einer Reise nach Griechenland kennenlernte, die er im Juli 1965 mit seiner Frau Mary und seinen drei Kindern unternahm. Angesteckt von der Begeisterung, mit welcher der griechische Wissenschaftler seine Atlantis-These vertrat, beschloss Mavor, selbst in diesem Bereich der Forschung aktiver tätig zu werden, wozu er festhielt: "Rückblickend scheint mir, daß mein Zusammentreffen mit Galanopoulos schicksalhaft war. Jedenfalls kam es zu einem für die Entwicklung unserer beiden Beziehungen besonders günstigen Zeitpunkt zustande. Wir waren beide, ohne es zu wissen, für ein Abenteuer bereit. Für mich war die Zeit gekommen, um über >Alvin< hinauszudenken; denn das U-Boot war fertig; das Ende seiner Erprobungszeit näherte sich. Atlantis aber ist ein Thema, das jeden Ozeanographen interessieren muß. Auch für Galanopoulos war der Gedanke, durch mich die Möglichkeit zu erhalten, an einer Expedition teillzunehmen und seine Theorie zu beweisen, sicher sehr anregend." [5]

Abb. 3 "Ein topographisches Modell der Insel Thera. Es zeigt den zentralen Einbruchkessel mit den neu entstandenen vulkanischen Inseln von Kaimeni. Links unten (südwestlich) der von der 'Chain' entdeckte äußere Einbruchkessel." (Mavor, 1969)

Wieder in die USA zurückgekehrt, begann Mavor mit intensiven Studien zum Themenfeld 'Atlantis & Thera'. Am 3. Januar 1966 hielt er einen Vortrag in der WHOI, in dem er nicht nur geologische und vulkanologische Fragen in Bezug auf Thera ansprach, sondern auch die Atlantis-Theorie von Dr. Galanopulos vorstellte und für sein Folgeprojekt einer ozeanographischen Untersuchung Theras unter atlantologischen Vorzeichen zu werben, wozu er feststellte: "Mich vor Wissenschaftlern in solcher Weise für die Atlantisthese einzusetzen bedeutet natürlich für meinen eigenen wissenschaftlichen Ruf ein Risiko." [6] In der Tat gab es danach auch einigen Widerspruch aus seinem Kollegenkreis, aber insgesamt waren die Reaktionen so positiv, dass er bereits im Februar mit den Vorbereitungen für eine Expedition nach Thera beginnen konnte.

Eines der Hauptprobleme bestand in der Beschaffung eines geeigneten Forschungsschiffen, und so war Mavor höchst erfreut, dass auch der Geophysiker Edward F.K. Zarudski Interesse für sein Projekt zeigte, der gerade eine Mittelmeer-Exkursion des 2000-Tonnen Forschungsschiffs 'Chain' (Abb. 5) plante, die auch in die Ägäis führen sollte. Tatsächlich gelang es ihm, sein 'Atlantisprojekt' in das Programm der für die Fahrt der 'Chain' geplanten Forschunsaktivitäten zu integrieren. Dazu war er genötigt gewesen, in seinen Vorgesprächen und seiner Korrespondenz seine "Begeisterung für Atlantis zu unterdrücken und nur von geologischen Untersuchungen zu sprechen. Denn Atlantis war nach Meinung der meisten Leute nur eine Angelegenheit von Mystikern, Romantikern und Pseudowissenschaftlern." [7] Genauer gesagt, war dies vor allem Ansicht des wissenschaftlichen Establishments, denn grundsätzlich war jene Zeit geprägt von einem regelrechten Atlantis-Hype, und das öffentliche Interesse an Atlantis war enorm.

Dies zeigte sich auch nach der Ankunft des Schiffes [8] bei Santorin: "Noch nie bis dahin war einem unserer Schiffe ein so großartiger Empfang bereitet worden: Buchstäblich alle wissenschaftlichen und archäologischen Institutionen der Stadt veranstalteten für unsere Wissenschaftler Empfänge und Besprechungen. Dazu hatte gewiß auch beigetragen, daß die Weltpresse unserer Expedition sehr viel Publizität gegeben hatte. [...]

Abb. 4 Das Forschungsschiff Chain war 1966 eher nur am Rande seiner Aufgaben auf der 'Suche nach Atlantis', doch die internationalen Medien hatten eine andere Wahrnehmung.

Für den nächsten Morgen [22. Aug. 1966; d.Ü.] war eine Konferenz an Bord der 'Chain' angesetzt worden, zu der Vertreter aller archäologischen Institute und Schulen von Athen eingeladen waren. Der kleine Bibliotheksraum unseres Schiffes faßte kaum die in großer Zahl gekommenen Wissenschaftler. Galanopoulos und ich konnten unsere Theorie nur kurz darstellen; die Forschungsarbeiten sollten ja eben erst beginnen. [...] Auch bei den folgenden Empfängen an Bord der 'Chain' und in Athen sowie bei verschiedenen Besichtigungen archäologischer Fundstellen stellten wir fest, daß dieses Unternehmen großes Interesse hervorrief. Das starke Presseecho mochte dazu beigetragen haben, daß die weitverbreitete Meinung entstanden war, die Hauptaufgabe unsere Expedition sei die Erforschung von Thera und deren Identifizierung mit Atlantis." [9]

Die Ergebnisse, die nachfolgend vom Forscherteam der 'Chain' gewonnen wurden, konnten sich in der Tat sehen lassen. So gelang es beispielweise, südlich der eigentlichen Caldera des Thera-Vulkans einen zuvor unbekannten Einbruchkessel zu lokalisieren, und nördlich von Nea Kaimeni - innerhalb des großen vulkanischen Kessels - entdeckten die Wissenschaftler zwei weitere Vulkankegel. Irgendwelche harten, archäologischen Evidenzen für die vermutete Identität der Insel mit Atlantis wurden jedoch nicht erzielt.

Abb. 5 Hier eine Skizze der Atlanter-Metropolis von Prof. Galanopulos

Umso erstaunter war Mavor, dass sich die internationale Presse bereits vor dem Ende der Untersuchungen (am 7. September 1966) geradezu 'überschlug' und mit völlig unzutreffenden Senationsmeldungen aufwartete: "Auf der Titelseite der Athener Zeitschrift ETHNOS prankte ein Bild der 'Chain' mit der Überschrift, sie habe Atlantis auf dem Meeresboden in der Nähe von Santorin entdeckt. Ein anderes Blatt, ELEUTHERIA, brachte [...] die Schlagzeile: >Santorin ein Teil des versunkenen Atlantis, entdeckt durch die amerikanischen Professoren Mavor und Loring<.

Reporter hatten [...] Dr. Galanopoulos aufgestöbert und schrieben nun begeisterte Berichte über Ergebnisse unserer Arbeiten, die uns selbst unbekannt waren. So schrieb die New York Times am 4. September: >GRABEN IN DER ÄGÄISCHEN SEE ANGEBLICH TEIL VON ATLANTIS Professor Angelos Galanopulos teilte heute die Entdeckung >>höchst überzeugender Beweise<< mit, wonach die legendäre Stadt Atlantis im Ägäischen Meer gefunden worden sei. Der Professor, ein führender griechischer Seismologe, erklärte, die Umrisse eines breiten Grabens 400 Meter unter Wasser in dem versunkenen Teil der Insel Thera entdeckt worden seien. [...] Professor Galanopoulos sagte, der Graben sei wahrscheinlich ein Teil der heiligen Insel von Atlantis, der Metropolis. [...]

Diese Berichte überraschten uns sehr, denn wir hatten tatsächlich nicht geglabt, daß unsere Bemühungen so welterschüttende Bedeutung haben würde. Der >Graben< (moat) war im Besonderen eine Quelle der Verwirrung. Das war freilich nicht überraschend angesichts der Vielfältigkeit unserer Unternehmung. Das Wort >Graben< war unglücklich gewählt und konnte sowohl als Begriff für die kreisförmigen Hafenanlagen, von denen Platon geschrieben hat (Abb. 5), verstanden werden als auch im üblichen Sinn als Begriff für einen künstlich angelegten Graben, der etwa Burgen umschloß. Was wir tatsächlich gefunden hatten, war eine natürliche Bildung auf dem Grund des Einbruchkessels, die der Beschreibung Platons vom Hafen von Atlantis entsprechen konnte. Meine Bemühungen jedoch, dieses Problem aufzuklären, stießen auf taube Ohren." [10]

Abb. 6 Die Archäologin Dr. Emily Vermeule (1928-2001) stieß Ende 1966 zu Mavors Team.

Angesichts der - in atlantologischer Hinsicht - spärlichen Ausbeute der Expedition und trotz dieses medialen Tohuwabohus war Mavor offenbar durchaus nicht undankbar für die allgemeine Aufmersamkeit, als er in die USA zurückkehrte. Immerhin stellte er unumwunden fest: "Nun fühlte ich mich mit meiner Aufgabe, Beweise für die Theorie von Galanopoulos zu finden, nicht mehr so einsam." [11] Hoch motiviert begann er Pläne für eine weitere Expedition zu schmieden, verschickte ein von ihm verfasstes Perspektiven-Papier ("Vorschlag für bestimmte historische, ozeanographische und archäologische Untersuchungen der See, der Länder und der Völker des östlichen Mittelmeerraumes") und machte sich auf die Suche nach Sponsoren. U.a. knüpfte er Kontakte mit dem berühmten Unterwasserarchäologen George Fletcher Bass, Dr. Froelich Rainey, seinerzeit Leiter des renommierten Museums der University of Pennsylvania sowie mit dessen Stellvertreterin, Dr. Elizabeth Ralph. Die beiden letztgenannten Wissenschaftler/innen erleichterten ihm seine Arbeit enorm, indem sie sein Projekt unter das Patronat des Museums stellten.

Schließlich gelang es ihm, mit Dr. Emily Vermeule (Abb. 6) auch eine hochkarätige klassische Archäologin für sein neues Expeditions-Team zu gewinnen, die - was nicht unerheblich war - bereits mehrfach erfolgreich mit dem griechischen Archäologen-'Papst' Spyridon Marinatos zusammengearbeitet hatte. Dies erleichterte es unter anderem, die bürokratischen Hürden zu überwinden, mit denen sich amerikanische Forscher damals konfrontiert sahen, wenn sie in Griechenland archäologische Grabungen vornehmen wollten. Allerdings gab es, was die Archäologin betraf, auch ein kleines Problem, wie wir bei Mavor erfahren: "Als Wissenschaftlerin der klassischen Ausrichtung war Mrs. Vermeule natürlich hinsichtlich Atlantis recht skeptisch, aber ich hoffte, daß sie diese Haltung mit der Zeit ändern würde." [12]

Abb. 7 Spyridon Nikolaou Marinatos (1901-1974)

Endlich, im Mai 1967 (inzwischen hatte in Griechenland eine Militärjunta die Macht ergriffen), konnte Mavors zweite, diesmal griechisch-amerikanische Expedition nach Thera beginnen, die sich allerdings weitgehend auf geologische Untersuchungen sowie archäologische Grabungen auf der Insel beschränkte. Beteiligt waren neben Mavor persönlich zunächst u.a. die Doktorinnen Vermeule und Ralph - letztere führte magnetometrische Messungen durch - und Spyridon Marinatos (Abb. 7), der sich mit dem neuen Regime arrangiert hatte [13], die Grabungen leitete und als eine Art Supervisor auftrat. Angelos Galanopulos, dessen Beteiligung sich Mavor sehr gewünscht hatte, war dagegen anderenorts unabkömmlich.

Als höchst unerfreulich erwiesen die Spannungen zwischen Marinatos und dem nachgereisten Altphilologen Edward Loring, der auch schon an Mavors Atlantis-Trip im Vorjahr beteiligt gewesen war. Schon vor dem Militätputsch war Loring - zu Unrecht - des Antiquitätenschmuggels verdächtigt worden, was Spyridon Marinatos, der kurz davor stand, zum Direktor des Archäologischen Dienstes in Athen ernannt zu werden, zum Anlass nahm, ihn zu 'schneiden'. Marinatos machte unmissverständlich klar, dass er erst dann mit Loring zusammenarbeiten werde, wenn dieser in einer Gerichtsverhandlung freigesprochen worden sei. "Solang das nicht erledigt ist, ist es völlig unmöglich. Was sollen denn die Leute denken, wenn sie sehen, daß Loring uns begleitet. Sie werden glauben, daß ich meine Unterstützung einem Mann gebe, der unter der Anklage steht, Antiquitäten geschmuggelt zu haben." [14]

Dies, Marinatos´ bisweilen 'gutsherrenartiges' Auftreten gegenüber Mitarbeitern und sein mangelndes Verständnis moderner Technik, aber auch der Zeitdruck, unter dem das Projekt durchgeführt werden musste, erleichterten die Arbeit vor Ort zwar nicht gerade, aber trotzdem gelangen dem Team in den folgenden Wochen einige interessante Funde, z.B. ein Säulensockel, Ziegel, behauene Steine und zahlreiche Keramik-Scherben. Mavor hob in seinem Buch insbesondere die Entdeckung und Freilegung fast unversehrter minoischer Räumlichkeiten mit Fresken an der Grabungsstätte 'Bronos II' hervor. Er vertrat die Ansicht, ihre Forschungsergebnisse hätten "wesentlich dazu beigetragen, die Theorie von Galanopoulos zu bestätigen, wonach Thera ein dichtbevölkertes Kulturzentrum gewesen war, dessen Wohlstand und Zivilisation jemem Kretas entsprach, kurz, daß es die Metropolis von Atlantis gewesen ist." [15]

Abb. 8 Haben Mavor et al. 1967 tatsächlich auf Thera die Überreste von Atlantis entdeckt? Heute, fast fünfzig Jahre später, erscheint dies mehr als zweifelhaft.

Dies war, bei Licht besehen, durchaus eine Übertreibung, denn tatsächlich hatte auch diese zweite Expedition keinen einzigen zwingenden archäologischen Beweis für die kretominoische Atlantis-These erbracht, sondern lediglich die allgemeinen Vorstellungen bestätigt, die James W. Mavor und Galanopulos ihrem Atlantis-Modell zugrunde legten. Für den Enthusiasten Mavor stand jedoch fest: "Wir hatten Atlantis gefunden, und ich erwartete, daß wir nun Thera so ausgraben würden, wie es mit Pompeji geschehen ist." [16] Tatsächlich sollte jedoch alles ganz anders kommen.

Mit einer formellen schriftlichen Genehmigung der Archäologischen Gesellschaft in Athen versehen und in Absprache mit Prof. Marinatos hielten James W. Mavor und Emily Vermeule am 18. Juli 1967 im Museum of Fine Arts in Boston eine Pressekonferenz zu den Ergebnissen ihrer Expedition ab und verschickten eine Erklärung mit dem Titel "Ein minoisches Pompeji und das versunkene Atlantis". Erneut stürzten sich die Presseleute begierig auf diesen journalistischen 'Leckerbissen' und Mavors Atlantis machte einmal mehr Schlagzeilen. [17]

Abb. 9 Das Frontcover der originalen deutschsprachigen Taschenbuch-Ausgabe von Mavors 'Voyage to Atlantis'

Er selber bemerkte dazu: "Die amerikanischen Zeitungen strichen natürlich uns, die wir Amerikaner waren, besonders heraus. Jedoch erhielt Marinatos ebensoviel Aufmerksamkeit. Die Geschichte der Ausgrabungen erschien ab 19. Juli mit Balkenlettern auf den ersten Seiten der Zeitungen in aller Welt. Am 31. Juli brachte Newsweek eine Farbbildseite über die Ausgrabungen von Thera, das Time-Magazine veröffentlichte ebenfalls einen ganzseitigen Bericht. Übrigens waren die Artikel in beiden Magazinen verhältnismäßig richtig." Doch gerade in der internationalen Presse war kaum etwas über die bedeutsame Rolle zu lesen, die Spyridon Marinatos bei den Ausgrabungen gespielt hatte. "Sein Artikel, den er am 7. Juli veröffentlicht hatte, war international nicht ebenso übernommen worden wie die unseren. Der Grund dafür war meiner Meinung nach, daß Marinatos das magische Wort >Atlantis< nicht gebraucht hatte." [18]

Emily Vermeule stellte das Problem folgendermaßen dar: "Niemand schien sich für die Schirrmherschaft der Archäologischen Gesellschaft in Athen zu interessieren. Amerikanische Zeitungen hoben Mavor und mich hervor; die Italiener wählten Galanopoulos; die Briten betonten Studenten, die Thera im Jahr zuvor besucht hatten; die Griechen, die es eilig hatten, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, schnipselten einfach an den Kabeldienst-Stories herum, wobei sie - >Ozeanograph enteckt Atlantis< - Marinatos feinsäuberlich bezüglich seiner eigenen Grabung unerwähnt ließen. Der Generalinspektor war verständlicherweise verbittert. Abrupt schnitt er Mavor von einer künftigen Arbeit auf Thera ab und erklärte ihm, dass weder seine ozeanographischen Talente noch das verlorene Atlantis in Griechenland erwünscht seien." [19]

Vermutlich spielten bei dieser für Mavor höchst unerfreulichen Entwicklung der Dinge sowohl gekränkte Eitelkeit seitens Marinatos sowie der Damen und Herren der Archäologischen Gesellschaft in Athen als auch die überheblich-ablehnende Haltung der griechischen Establishment-Archäologen zur Historizitäts-These in Sachen Atlantis eine Rolle. Immerhin scheint Marinatos ab diesem Zeitpunkt sogar gewissermaßen auf Distanz zu seinen eigenen atlantologischen Ansätzen gegangen zu sein. [20] Jedenfalls sorgte die überrachende 'Aussperrung' der Amerikaner zumindest in der US-Presse ein weiteres mal für ein merkliches Medien-Echo. [21]

Es bleibt anzumerken, dass die Obristen der griechischen Militärjunta in Hinsicht auf 'Thera und Atlantis' offenbar anderer Ansicht waren als die 'alten Herren' der Archäologischen Gesellschaft in Athen. Jedenfalls kam die Vorstellung eines 'urgriechischen' Atlantis ihrem nationalen Chauvinismus so weit entgegen, dass sie 1975 - Spyridon Marinatos war etwa ein Jahr zuvor bei einem Arbeitsunfall bei Akrotiri ums Leben gekommen - den bekannten französischen Meereskundler Jacques-Yves Cousteau engagieren ließen, um eine weitere Atlantissuche in den Gewässern vor Santorin durchzuführen. [22] Mavor blieb dort dagegen weiter eine persona non grata, woraufhin er sich anderen Bereichen der Forschung zuwandte, mit denen wir uns im letzten Teil dieses Beitrags befassen.



Veröffentlichungen zum Thema Atlantis / Thera

  • "A Mighty Bronze Age Volcanic Eruption", in: Oceanus 12 (April 1966), S. 14-23


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: James W. Mavor, "Reise nach Atlantis Wissenschaftler lösen das Rätsel einer Weltkatastrophe", Wien / München /Zürich (Verlag Fritz Molden), S. 9 (Prolog)
  2. Quelle: ebd., S. 10
  3. Quelle: ebd.
  4. Anmerkung: Wie in der atlantologischen Litetatur bei der Präsentation eigener Hypothesen, Thesen oder Theorien üblich, befasste James W. Mavor sich zudem - zumindest am Rande seiner Betrachtungen - kritisch, allerdings ohne jede Besserwisserei oder gar Polemik, auch mit anderen, 'konkurrierenden' Modellen zur Interpretation des Atlanticus, wie etwa jenen von Ignatius Donnelly, Paul Borchardt, Costantino Cattoi und Jürgen Spanuth. Dazu bemerkte er: "Ich bemühe mich nun keineswegs darum, zu beweisen, daß die Theorien Dr. Spanuths oder jemandes anderen über verschwundene Kulturen falsch sind; ich befasse mich nur mit ihrem Anspruch, es habe sich um das Platonische Atlantis gehandelt." (Mavor, op. cit., S. 47) Vor diesem Hintergrund stellte er u.a. fest: "Von den vielen Theorien, die Atlantis weit abseits von der Ägäis lokalisieren, ist die von Paul Borchardt (1927) vielleicht am vernünftigsten. Wie Galanopoulos erkannte auch er, daß Platon zwei verschiedene Gebiete beschreibt." (ebd., S. 46) Deutlich auf Distanz ging er dagegen zu esoterischen Atlantis-Adaptionen, die er als "eine Art okkulter Religion" (ebd., S. 49) bezeichnete.
  5. Quelle: James W. Mavor, op. cit., S. 42; Red. Anmerkung: Dass Mavor seinem neuen Freund Galanopulos später auch publizistische 'Schützenhilfe' leistete, wird am Ende eines (online nachzulesenden) Zeitungsartikels aus dem folgenden Jahr deutlich: o.A., "Seismologist Says He's Found Lost Continent Of Atlantis", in: Daytona Beach Morning Journal, 3. Juli 1966
  6. Quelle: James W. Mavor, op. cit., S. 83
  7. Quelle: ebd., S. 94
  8. Anmerkung: Die 'Chain' war am 10. Juli in See gestochen, aber Mavor ging erst am 21. August an Bord, offenbar kurz nachdem das Schiff bei Santorin geankert hatte.
  9. Quelle: James W. Mavor, op. cit., S. 96
  10. Quelle: ebd., S. 166-167
  11. Quelle: ebd., S. 168
  12. Quelle: ebd., S. 174
  13. Anmerkung: In einem Brief vom 8. Mai an Mavor hatte Marinatos geschrieben: "Die politische Situation hier ist ausgezeichnet und auf jeden Fall viel stabiler als früher. Ich bin überzeugt, daß die Voraussetzungen für unsere Arbeit wesentlich besser geworden sind und in naher Zukunft möglicherweise noch besser werden." (Quelle: Mavor, op. cit., S.192)
  14. Quelle: James W. Mavor, op. cit., S. 227
  15. Quelle: James W. Mavor, op. cit., S. 269
  16. Quelle: ebd., S. 270
  17. Siehe z.B.: o.A., "Atlantis Found On Aegean Isle?", 19. Juli 1967, in: The Tuscaloosa News
  18. Quelle: ebd., S. 271
  19. Quelle: Emily Vermeule, "The Promise of Thera", 1. Dez. 1967, bei: The Atlantic.com (abgerufen: 16. Feb. 2015; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de)
  20. Anmerkung: "Die Athener Zeitungen veröffentlichten einen Marinatos zugeschriebenen Bericht, der sich zum Ziel setzte, >verschiedene Ungenauigkeiten<, die in der internationalen Presse veröffentlicht worden waren, zu korrigieren. Es wurde darin betont, daß die Ausgrabungen auf Thera von der Archäologischen Gesellschaft von Athen unter der Leitung von Marinatos durchgeführt worden seien. Alle >übertriebenen Versuche<, diese Ausgrabungen in Verbindung mit Theorien zu Atlantis zu bringen, wurden zurückgewiesen." (Quelle: Mavor, op. cit., S. 272-273)
  21. Siehe z.B.: o.A., "Yanks Barred At Site of Atlantis", 2. Jan. 1968, in: Lawrence Journal-World
  22. Siehe: "Das atlantologische 'Gastspiel' des Jacques-Yves Cousteau" (bb)

Bild-Quellen:

1) Inner Traditions – Bear & Company / Bildarchiv Atlantisforschung.de
2) Pitichinaccio bei Wikimedia Commons, unter: File:Nomos Kykladon.png
3) James W. Mavor, "Reise nach Arlantis", Verl. Fritz Molden, 1969, S. 72; nach: Atlantis - onderzoek naar mogelijke locaties, unter: Atlantis in zuidoost Europaen en klein-Azië
4) Research Vessel Chain - Woods Hole Oceanographic Inst.
5) Atlantis - onderzoek naar mogelijke locaties, unter: Atlantis in zuidoost Europaen en klein-Azië
6) Harvard University Gazette, 15. Februar 2001, unter: Emily Vermeule, 72, was world-renowned classicist (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
7) Tony O’Connell, "Marinatos, Dr. Spyridon (i)", 1. Juni 2010, bei: Atlantipedia.ie
8) H-stt bei Wikimedia Commons, unter: File:Akrotiri minoan town.jpg
9) Bild-Archiv Atlantisforschung.de