Ernst Hugo Berger
Historisches Forscherportrait
Basis-Informationen
(bb) Ernst Hugo Berger (Abb. 1, links) [1] (* 6. Oktober 1836 in Gera; † 27. September 1904 in Leipzig) war ein deutscher Altphilologe und Historischer Geograph. Als Mitarbeiter an Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft war er nicht unerheblich an der Verfestigung der im universitären Bezirk noch immer dominanten Lehrmeinung beteiligt, bei Platons Atlantisbericht handele es sich um eine fiktionale Erzählung. Außerdem trug er maßgeblich zur Perpetuierung der - auch unter Fachwissenschaftlern - weit verbreiteten, aber nachweislich irrigen Ansicht bei, schon Platons Schüler Aristoteles habe Atlantis für eine Erfindung gehalten. [2]
Biographische Notizen
Zu Ernst Hugo Bergers Vita heißt es in der deutschsprachigen Wikipedia: "Ernst Hugo Berger lernte bis 1856 an der Thomasschule zu Leipzig. [3] Von 1856 bis 1862 studierte er Klassische Philologie und Theologie an der Universität Leipzig. (Abb. 2) Von 1862 bis 1866 war er als Lehrer an verschiedenen Schulen in Leipzig tätig. Die Heirat mit Emilie Seidler, Tochter von August Seidler, ermöglichte ihm durch den Wohlstand seiner Frau seit 1866 ein Leben als Privatgelehrter. 1869 wurde er an der Universität Leipzig mit der Arbeit Die geographischen Fragmente des Hipparch in Historischer Geographie zum Dr. phil. promoviert. Von 1899 bis 1904 war er Professor für Historische Geographie an der Philosophischen Fakultät der Universität Leipzig.
1890 wurde er als ordentliches Mitglied in die Königlich Sächsische Gesellschaft der Wissenschaften aufgenommen. Seine Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen wurde zum Standardwerk auf dem Gebiet der antiken Geographie." [4]
Berger, Atlantis und Aristoteles
Mitte der 1890er Jahre war Ernst Hugo Berger - zu dieser Zeit längst eine anerkannte Kapazität in Sachen Geographie des Altertums - unter anderem auch für Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft tätig, damals das mit Abstand führende wissenschaftliche Lexikon in diesem Bereich. Berger erhielt den Auftrag, das Lemma 'Atlantis' zu überarbeiten. Zum Ergebnis seiner Berarbeitung [5] lesen wir bei Thorwald C. Franke Folgendes: "Der Artikel wurde vollkommen umgekrempelt, es gab von nun an keinen eigenständigen Artikel zu Platons Atlantis mehr.
Berger fasste die beiden Artikel zum Atlantischen Ozean und zu Platons Atlantis zusammen, wie wenn diese beiden Themen keine eigenständige Bedeutung hätten. [...] Berger versah den Teilabschnitt des Artikels, der Platons Atlantis gwidmet ist, mit dem unpassenden Titel >Der Mythos<. Ist Platons Atlantis denn ein Mythos? Im Dialog wird das vehement bestritten. Und selbst wenn es eine Erfindung sein sollte, so wäre es noch nicht einmal ein Kunstmythos [6], sondern schlicht eine Geschichtsfälschung. Schließlich fügte Berger den Anfang des 19. Jahrhunderts aufgkommenen kollektiven Irrtum in den Artikel ein, dass in Strabon II 102 ein explizites Wort des Aristoteles gegen Platons Atlantis vorliegt. [7] Dem ist natürlich nicht so.
Ernst Hugo Bergers Artikel bedeutete ein wissenschaftliches Totalversagen. Nachdem bei Susemihl die Mode aufgekommen war, Platons Worte ins Gegenteil zu verkehren, sobald es um Atlantis geht, hatte sich nun auch ein antikes Zitat, das gar nicht existiert, in die wissenschaftliche Diskussion um Atlantis eingeschlichen. Dies ist der Gipfelpunkt einer fatalen Entwicklung, die in der wissenschaftlichen Meinung einen Zustand herbeigeführt hat, der im Grundsatz bis heute andauert." [8]
Es bleibt die Frage nach den Gründen für Prof. Bergers befremdliche Überarbeitung des erwähnten Atlantis-Lemmas. Wie sowohl Franke als auch der Verfasser vorsichtig vermuten, stand sie möglicherweise in Zusammenhang mit der - nur ein Jahr zuvor (1895) erfolgten - deutschsprachigen Erstveröffentlichung von Ignatius Donnellys Bestseller Atlantis - Die vorsintflutliche Welt in einem Leipziger Verlag [9]; ein Buch, das die Akzeptanz der sich zu jener Zeit verfestigenden fachwissenschaftlichen Lehrmeinung von Atlantis als Fiktion beim 'Publikum' nachhaltig konterkarierte. Wollte Berger dem womöglich auf enzyklopädischer Ebene entgegenwirken? [10] Immerhin bemerkt Franke zu dessen sonstigen Äußerungen mit Bezug zum Atlantisbericht: "In anderen Publikationen diskutierte Ernst Hugo Berger das Thema Atlantis wesentlich besonnener." [11]
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Anmerkungen und Quellen
Fußnoten:
- ↑ Anmerkung: Als Buchautor trat er häufig auch mit der Namensform Hugo Berger in Erscheinung.
- ↑ Siehe: Thorwald C. Franke, "Aristoteles und Atlantis - Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, Norderstedt (BoD), 2010, ISBN 978-3-8391-6166-1 --- sowie: Peter Nowak, "Was Sie schon immer über Atlantis wissen wollten - Behauptungen und Gegenargumente", Norderstedt (BoD), 2016
- ↑ Siehe: Richard Sachse, Karl Ramshorn und Reinhart Herz, "Die Lehrer der Thomasschule zu Leipzig 1832–1912. Die Abiturienten der Thomasschule zu Leipzig 1845–1912", B. G. Teubner Verlag, Leipzig 1912, S. 31
- ↑ Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Ernst Hugo Berger" (abgerufen: 21. März 2017)
- ↑ Siehe: Ernst Hugo Berger, "Atlantis 1" und "Atlantis 2", in: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE), Band II,2, Stuttgart 1896, Sp. 2116–2118 (online bei Wikisource; im Original handelt es sich um einen zusammenhängenden Text)
- ↑ Vergl. dazu: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Platonischer Mythos" (abgerufen: 22. März 2017) --- Anmerkung des Verfassers (bb): Sollte Berger den Atlantisbericht als 'Platonischen Mythos' betrachtet haben - was noch zu klären ist -, wäre dies immerhin eine mögliche Erklärung für die Überschrift des Abschnitts. In jedem Fall erscheint eine derartige Zuordnung der Atlantida abwegig.
- ↑ Red. Anmerkung: Bereits 2010 bemerkte Franke dazu: "Dies ist umso bemerkenswerter, [weil] die Vorgängerversion desselben Artikels in demselben Lexikon aus dem Jahr 1866 Aristoteles noch pro Atlantis eingstellt sah. Auch Berger selbst lässt in seinen anderen Publikationen anklingen, dass er Aristoteles [...] eher pro Atlantis eingestellt sieht. Der Artikel von 1896 bedeutete also eine Kehrtwende um 180 Grad. Eine Kehrtwende, die ohne viel Aufsehen vollzogen wurde." Quelle: Derselbe, "Aristoteles und Atlantis - Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, Norderstedt (BoD), 2010, S. 68. Franke verweist dort auf: Ernst Hugo Berger, "Geschichte der wissenschaftlichen Erdkunde der Griechen", 4 Bde., Verlag von Veit & Co., Leipzig, 1887-1893; 2. verbesserte und ergänzte Auflage, Verlag von Veit & Co., Leipzig, 1903, Band II, S. 123, S. 144
- ↑ Quelle: Thorwald C. Franke, "Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis - Von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne", Norderstedt (BoD), 2016, S. 414-415
- ↑ Siehe: Ignatius Donnelly, "Atlantis, die vorsintflutliche Welt (Deutsch von Wolfgang Schaumburg), Leipzig (Schnurpfeil; Reihe: Wissenschaftliche Volksblibliothek), 1895
- ↑ Anmerkung: Es ist bisher leider nichts darüber bekannt, welche Meinung Georg Wissowa (1859-1931), Herausgeber der Neuausgabe von Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, in diesem Zusammenhang vertrat.
- ↑ Quelle: Thorwald C. Franke, op. cit. (2016), S. 415
Bild-Quellen:
- 1) Links: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, unter: Ernst Hugo Berger, Prof. Dr. phil.
- 1) Rechts: Bildarchive Thorwald C. Franke und Atlantisforschung.de
- 2) Universitätsarchiv Leipzig (UAL) (FS N01633); nach: Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, unter: Wissenschaftsbeziehungen im 19. Jahrhundert zwischen Deutschland und Russland auf den Gebieten Chemie, Pharmazie und Medizin (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
- 3) Jonathan Groß bei Wikimedia Commons, unter: File:Pauly-Wissowa 3 retouched.jpg