Die Räuchertraditionen in Schwarzafrika

von Dr. Dominique Görlitz

Abb. 1 Die hier vorgestellte Betrachtung der Räuchertraditionen in Schwarzafrika (Bild) macht deutlich, dass es dort in präkolumbischer Zeit mit einiger Sicherheit keine Nutzung einer bisher unbekannten Tabakpflanze gegeben hat, die auch im alten Ägypten konsumiert worden sein und bei der Mumifizierung von Toten Verwendung gefunden haben könnte.

Mit dem Rauchen war und ist in Schwarzafrika (Abb. 1) nicht zwangsläufig der Konsum von Tabak verbunden [1]. Bevor Tabak in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von den Portugiesen und anderen Europäern nach Schwarzafrika eingeführt worden war, wurden dort Hanf (Cannabis sativa L.) und indigene narkotische Pflanzen geraucht. Zu den zum Räuchern genutzten einheimischen Pflanzen gehörten Vertreter der Nachtschattengewächse, wie die Stechapfelarten der Gattung Datura L. und die in Südafrika sehr beliebte psychotrope Pflanze Löwenschwanz oder Löwenohr (Abb. 2) (Leonotis leonurus L.) [2]. Das Löwenohr gehört in die Familie der Lippenblütengewächse (Lamiaceae), die etwa 30 Arten in dieser Gattung umfasst. Leonotis leonurus ist eine halb-immergrüne strauchige Pflanze, die ursprünglich in Südafrika beheimatet war [3]. Ihre Inhaltsstoffe sind als Vertreter der Lippenblütler nicht unmittelbar mit den Alkaloiden der Nachtschattengewächse verwandt. Neben einer Vielzahl ätherischer Öle treten vor allem Diterpene, Flavonoide und Alkaloide, wie z.B. Leonurin, Stachydrin oder Betonicin auf. Man nimmt an, dass vermutlich Amide, die zu Methoxyphenylalkylamiden transformiert werden, für die psychoaktive Wirkung verantwortlich sind. Das Löwenohr gilt bei den Pharmakologen als milde Rauschpflanze mit cannabisähnlichen Effekten. Es besitzt nachweislich eine schwach sedative und narkotische Wirkung [4]. Weiterhin deutet die gut erforschte Einfuhrgeschichte der asiatischen Hanfpflanze an, dass die Nutzung sowohl des Hanfs (Abb. 3) als auch des Tabaks bei den Völkern Schwarzafrikas in vorislamischer bzw. voreuropäischer Zeit völlig unbekannt war [5].

Abb. 2 Afrikanisches Löwenohr (Leonotis leonurus)

In Bezug auf die Einfuhrgeschichte des Hanfs nimmt man Zentralasien als seine ursprüngliche Heimat an. Der Hanf wurde ausgehend von Persien oder Indien von arabischen Seefahrern entlang der ostafrikanischen Küste bis um das Horn von Afrika in deren Kolonien und Handelsstädten ausgebreitet. Als Zeitpunkt dieser Einführung wird das 10. Jahrhundert n.Chr. vermutet [6]. In der Lalibeda-Höhle am Tanasee in Nordäthiopien wurden Pfeifenköpfe von Wasserpfeifen gefunden, aus denen nachweislich Hanf geraucht worden ist. Mit Hilfe der C14-Methode wurden die archäologischen Überreste auf 1.320 + 80 n.Chr. datiert [7]. Ein weiteres Indiz für die Übernahme des Hanfs und der Wasserpfeife durch arabische Handelskontakte liefert das indische Wort bang für Hanf. Es wurde zuerst von den dort ansässigen Bantu-Völkern übernommen. Für diese Ansicht spricht, dass das Wort bang in linguistischen Varianten in Ostafrika sowie im Zambesi-Gebiet verbreitet ist [8]. Nach Du Toit (1974) nimmt die Frage, wie sich der Hanf nach und um Südafrika ausbreitete, einen breiten Raum ein. Im Gebiet des heutigen Südafrikas wird Hanf dagga genannt, was also nicht auf das indische Wort bang zurückgeht. Dieses Wort stammt vermutlich von der Völkergruppe der Khoikhoin (Hottentotten), die diese Bezeichnung auch für eine andere Pflanze mit psychoaktivem Potential anwendeten. Sie rauchten vor der Einführung des Hanfs oder Tabaks den Löwenschwanz. Die Doppelbezeichnung von dagga ist damit nicht ganz unproblematisch. Es bleibt die Frage offen, ob das Rauchen von dagga (sprich Hanf) in Südafrika von den dorthin eingewanderten Bantu um 1.300 n.Chr. eingeführt oder von den Khoikhoin schon vorher mit anderen Pflanzenarten praktiziert worden war. Auffallend ist jedoch, dass der Hanfkonsum im gesamten Bereich des nördlichen Westafrikas bis zum Zweiten Weltkrieg völlig unbekannt blieb [9]. Es scheint, als hätten seine Einfuhr und sein Siegeszug in den südlichen Handelskolonien der arabischen Seefahrer eine natürliche Verbreitungsgrenze gefunden.

Abb. 3 Hanfpflanzen (Cannabis sativa)

Ganz anders verhält es sich mit dem Tabak. Er wurde von allen Stämmen und Völkergruppen, auch Westafrikas, binnen kurzer Zeit nach seiner Einführung übernommen. Alle Wissenschaftler stimmen darin überein, dass der Tabak in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gleichzeitig sowohl an der West- als auch an der Ostküste zuerst durch die Portugiesen eingeführt worden ist [10]. In diesem Zusammenhang schrieb der deutsche Botaniker und Afrikakenner Georg Schweinfurth: „Von allen Kulturpflanzen dieser primitiven Völker Afrikas beansprucht der Tabak das größte Interesse, fordert er am meisten zum Nachdenken auf über die wunderbaren Wechselwirkungen im unbewussten Kontakt ganzer Völkerreihen […] Kein Gewächs hat wie dieses alle Schranken zu überwinden gewusst, die sich seiner Verbreitung entgegenstellten, und man muss staunen, dass selbst Afrika, dieser massige Koloss, trotz aller Verschlossenheit gegen Kulturbestrebungen jeglicher Art, den Virginischen [Echten] Tabak bis zu seinem innersten Zentrum hat vordringen lassen[11]. Mit seiner Einfuhr entwickelten die Eingeborenen schnell eine ungebremste Leidenschaft für das Tabakrauchen [12]. Brooks [13] hat ein Szenario entworfen, wie sich die Ausbreitung des Tabaks und des Tabakrauchens abgespielt haben könnte. Danach waren sie nicht das Ergebnis einer wohlüberlegten Strategie der Weißen, sondern eher zufällige Begleiterscheinungen des europäisch-afrikanischen Kontakts und Handels. Botaniker, Historiker und Ethnologen haben sich auf eine allgemeingültige Faustregel geeinigt, was die transozeanische Einfuhr der beiden bedeutendsten Rauschpflanzen in Afrika betrifft: Der Tabak kam mit den Portugiesen aus dem Westen (Amerika); der Hanf kam mit den Arabern aus dem Osten (Asien). Auch die sich überall in Schwarzafrika im Gebrauch befindlichen (Wasser-)Pfeifen haben einen eindeutigen Ursprung: „Hanfrauchen und Wasserpfeife gehören ursprünglich zusammen[14]. Arabische Händler brachten nicht nur den Hanf, sondern auch das dazugehörige Rauchgerät nach Afrika. Das war zu einer Zeit, als sie den Tabak noch nicht kannten. Die Wasserpfeife ist also eine der ältesten Pfeifenformen Afrikas [15]. Nach Kamal Chaouachi [16], der sich intensiv mit dem Ursprung der persischen Wasserpfeife (Nargileh) im südlichen Afrika beschäftigte, liegt der Ursprung der Wasserpfeife möglicherweise in Südafrika selbst oder in Amerika. Andererseits stellt er fest, dass die Herkunft der Nargileh ein ungelöstes Rätsel der Afrikanistik ist.

Abb. 4 Darstellung einer Tabakpflanze (Nicotiana tabacum) sowie ihrer Blüten und Samen, flankiert von einigen Szenen aus dem Bereich ihrer Verarbeitung und des Konsums, auf einer kolorierten Lithographie, ca. 1840 (für eine vergrößerte Ansicht bitte das Bild anklicken!)

Für die Bewertung der immateriellen Übertragung einer Tabakkultur sind gemeinsame Namen, Gerätschaften und Nutzungsmethoden die wesentlichsten Kriterien, die die anthropogene Einführung neuer Pflanzenarten belegen. Sie sind wichtiger als die pure Übertragung der Pflanzen oder deren Inhaltsstoffe durch natürliche Effekte. Dass Argument einiger Wissenschaftler, dass es in Afrika zu ägyptischer Zeit eine unbekannte Tabakpflanze oder einen Handelskontakt in der Nähe der namibischen Reliktendemitenpopulationen gegeben haben könnte, wird durch ein wichtiges Argument in Frage gestellt: Sehr bezeichnend für den fremdländischen und postkolumbischen Ursprung des Tabaks in Zentralafrika ist der Fakt, dass fast alle Völker vom Niger bis zum Nil kein eigenes Wort in ihrer Sprache aufzuweisen haben, um diese Pflanze zu bezeichnen. [Bei fast allen Völkern dieses Raumes] drehen sich die Namen um die Wortsilbe ´tab`, ´tabba`, ´tabdith`, ´tom` [17]. In einer Studie von Pasch [18] wurden die afrikanischen Bezeichnungen auf dem gesamten Kontinent untersucht. Dabei ergab sich folgendes Bild. In Westafrika finden sich überwiegend Bezeichnungen, wie taba, tawa, tabaku oder tamaka, die auf das portugiesische tabaco zurückgehen. An der mittleren Niederguineaküste trifft man auf Tabakbezeichnungen, wie mfomo oder fumu, die auf das portugiesische Wort fumo, gleich Rauch, zurückzuführen sind. Im südöstlichen Afrika finden sich eine Reihe von Tabaknamen, wie foday, foria oder fole, die auf das portugiesische Wort folia gleich Blatt zurückgehen und belegen, dass die Portugiesen den Tabak in diesen Raum einführten. Die völkerkundliche Forschung liefert damit wesentliche Argumente, dass es im vorkolumbischen Schwarzafrika vermutlich keine Nutzung einer bisher unbekannten Tabakpflanze gegeben hat.

Die kollektive Erinnerung aller Völkergruppen aus Schwarzafrika über das Rauchen und die Verwendung von Nicotiana beginnt damit, dass die Tabakpflanze durch den Kontakt zu portugiesischen Händlern eingeführt worden ist. Selbst, wenn neben Nicotiana africana noch eine weitere wilde Tabakart als Reliktendemit im frühen Schwarzafrika existierte und zeitgleich mit dem Untergang der ägyptischen Hochkultur zufällig ausstarb, fiel sie der gleichen kulturellen Bedeutungslosigkeit zum Opfer, wie es den wilden Nicotiana-Arten in Südamerika erging. Das liegt in erster Linie an dem Fakt, dass die Wildarten sowohl in der Neotropis als auch Paläotropis nur geringe oder gar keine Konzentrationen von Nikotin aufweisen [19]. Erst die postkolumbische Einfuhr der beiden kultivierten, tetraploiden, stark nikotinhaltigen Tabakarten N. tabacum und N. rustica rückten diese Neophyten in das Interesse der Eingeborenenkulturen, die diese Schamanenpflanzen aufgrund ihrer vielfältigen Eigenschaften als „Panazee“ (Allheilmittel) bereitwillig assimilierten.



Anmerkungen und Quellen

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Dieser Beitrag von Dr. Dominique Görlitz (©) wurde seiner 2012 in Buchform erschienenen Dissertation "Prähistorische Ausbreitungsmechanismen transatlantisch verbreiteter Kulturpflanzen" entnommen (ungekürzter Auszug, S. 45-47). Bei Atlantisforschung.de erscheint dieser Beitrag im Juni 2017 mit freundlicher Genehmigung des Verfassers in einer redaktionell bearbeiteten - illustrierten und mit Verlinkungen versehenen - Online-Fassung.

Fußnoten:

  1. W. Cremer, "Pfeifen, Hanf und Tabak in Schwarzafrika", Idstein/Ts. (Baum Publications), 2004, S. 22
  2. W. Cremer, op. cit. (2004), S. 21f
  3. G. Cheers (Hrsg.), "Botanica: Das ABC der Pflanzen - 10.000 Arten in Text und Bild", Königswinter (Tandem Verlag GmbH), 2003, S. 516
  4. C. Rätsch, "Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen-Botanik, Ethnopharmakologie und Anwendung", Aarau (AT Verlag), 2004, S. 380ff
  5. W. Cremer, op. cit. (2004), S., 25
  6. B.M. Du Toit, "Cannabis sativa in sub-Saharan Africa", in: South african Journal of Science 70, 1974, S. 266-270
  7. N.J. van der Merve, "Cannabis Smoking in 13th - 14th Century Ethiopia: Chemical Evidence", in: V. Rubin (Ed.), "Cannabis and Culture"", The Hague / Paris, 1975, S. 77ff
  8. B. Laufer, W.D. Hambly & R. Linton, "Tobacco and its use in Africa", Chicago (Field Museum of Natural History), 1930, S. 13
  9. T. Asuni, "Socio-psychatric Problems of Cannabis in Nigeria", in: Bulletin on Narcotics 16, 1964, S. 17-28
  10. J.E. Brooks, "Tobacco: Its History Illustrated by the Books, Manuscripts and Engravings in the Library of George Arents, Jr.: together with an Introductory Essay, a Glossary and Bibliographic Notes" Vol. 1, New York (Rosenbach Co.), 1937 --- W. Cremer, op. cit. (2004) --- H. Pasch, "Linguistische Aspekte bei der Verbreitung lateinamerikanischer Nutzpflanzen in Afrika", Magisterarbeit am Institut für Afrikanistik der Universität zu Köln, Köln, 1980 --- K. Volprecht, "Tabak und sein Gebrauch in Afrika", in: G. Völger (Hrsg.), "Rausch und Realität. Drogen im Kulturvergleich" Teil 1, Materialien zu einer Ausstellung des Rautenstrauch-Joest-Museums für Völkerkunde der Stadt Köln", Köln, 1981
  11. G. Schweinfurth, "Im Herzen von Afrika. Reisen und Entdeckungen im zentralen Äquatorial-Afrika während der Jahre 1886-1871. Ein Beitrag zur Entdeckungsgeschichte von Afrika", Leipzig (F.A. Brockhaus), 1918, S. 135
  12. (W. Cremer, op. cit. (2004), S., 61
  13. J.E. Brooks, "Tobacco: Its History Illustrated by the Books, Manuscripts and Engravings in the Library of George Arents, Jr.: together with an Introductory Essay, a Glossary and Bibliographic Notes" Vol. 5, New York (Rosenbach Co.), 1952, S. 43
  14. C. Hartwich, "Die menschlichen Genussmittel: Ihre Herkunft, Verbreitung, Geschichte, Anwendung, Bestandteile und Wirkung", Leipzig (Tauschnitz), 1911, S. 231
  15. M. Shaw, "Soouth African Native Snuff-Boxes", in: Annals of the South African Museum 24, 1938, S. 221-252
  16. K. Chaouachi, "Le Nargilé. Anthropologie d'un Mode d'Usage de Drogues Douces", Paris (L'Harmattan), 1997, S. 60, 113
  17. G. Schweinfurth, op. cit. (1918), S. 135
  18. H. Pasch, op. cit. (1980), S. 153ff
  19. W. Cremer, "Tabak und Schamanismus bei den Indianern in Südamerika", Idstein/Ts. (Baum Publications), 2007, S. 21

Bild-Quellen:

1) Lew Palm bei Wikimedia Commons, unter: File:Sub-Saharan-Africa.svg
2) Aldipower bei Wikimedia Commons, unter: File:Leonotis leonurus.jpg
3) H. Zell bei Wikimedia Commons, unter: File:Cannabis sativa 001.JPG
4) Wellcome Images (Library reference: ICV No 45365 - Photo number: V0044754) / (Uploader) bei Wikimedia Commons, unter: File:A tobacco plant (Nicotiana tabacum), its flowers and seeds, Wellcome V0044754.jpg