Die Rätsel der Maya-Stätte von Comalcalco

Römer und antike Nordafrikaner als Bauarbeiter im Land der Maya?

Abb. 1 Diese digitale Rekonstruktion eines Teils der Metropole von Comalcalco. Im Vordergrund ist die große nördliche Plaza - von der Spitze des Tempels I aus gesehen - abgebildet. Rechts oben sieht man die Gebäude der Großen Akropolis, unter denen der Herrscher-Palast besonders hervorsticht.

(bb) Die archäologische Maya-Fundstätte von Comalcalco befindet im heutigen mexikanischen Bundesstaat Tabasco, ca. 2 km nordöstlich des Zentrums der modernen Stadt Comalcalco. An einem alten, etwa 10 km südlich der Küste des Golfs von Mexiko verlaufenden Handelsweg gelegen, entwickelte sich die Stadt (Abb. 1) zu einem wichtigen Handelszentrum zwischen der Halbinsel Yucatán und dem zentralen mexikanischen Hochland.

Diese westlichste aller bisher bekannten Maya-Siedlungen, mit deren Erbauung vermutlich im ersten oder zweiten Jahrhundert n.d.Z. begonnen wurde, gibt sowohl der konventionellen Altamerikanistik als auch der alternativen Forschung nach wie vor Rätsel auf - nicht nur wegen ihrer für Mesoamerika gänzlich unüblichen Backsteinbauweise. Dazu heißt es bei dem bekannten Geologen und Altertumsforscher Robert M. Schoch vom College of General Studies der Boston University:

Abb. 2 Karte zur Lokalisierung von Comalcalco in Mittelamerika (für eine vergrößerte Ansicht bitte das Bild anklicken!)

"Vom Gesamtkonzept her ist Comalcalco ein typisches Maya-Zeremonialzentrum, doch eine Reihe architektonischer Merkmale ist seltsam. Eines ist die Nutzuung kleiner fensterähnlicher Öffnungen, die bei Maya-Gebäuden selten vorkommen. Des Weiteren wurden neben einigen der Fenster schmale Schlitze in die Wände geschnitten, wiederum ein ungewöhnliches und seltenes Merkmal. Auch die Toten wurden in Comalcalco auf eine ganz eigene Art und Weise bestattet. Die Leichen wurden unter einem großen umgedrehten Gefäß auf einem Bett von Austernschalen platziert, eine Methode, die ansonsten nirgendwo in Mittelamerika zu finden ist.

Am merkwürdigsten ist das Baumaterial. Comalcalco ist die einzige Stätte, nicht nur im Maya-Gebiet, sondern im gesamten präkolumbischen Amerika, wo ofengebrante Ziegel verwendet wurden. An anderen Orten wurden in der Sonne getrocknete, auch Adobe genannte, Ziegel benutzt, aber soweit derzeit wir wissen, ist Comalcalco der einzige Ort, wo ofengebrannte Ziegel eingesetzt wurden. Warum, so fragt man sich, haben die Maya an diesem einen Ort auf ihren gewohnten Kalkstein verzichtet und sich auf gebrannte Ziegel verlassen, ein Material, von dem wir wissen, dass [von ihnen; d.Ü.] nie zuvor und auch danach nicht mehr benutzt wurde." [1]

Abb. 3 Einige typische Maurer-Zeichen, die auf römischen Ziegeln (links) und auf Ziegeln aus Comalcalco (rechts) gefunden wurden. Es lassen sich noch viele weitere Ähnlichkeiten zwischen Maurer-Zeichen aus Comalcalco und solchen von römischen, minoischen und altgriechischen Fundstätten feststellen.

Dann kommt Prof. Schoch auf jenes Phänomen zu sprechen, das im Bereich der alternativen Forschung - insbesondere unter diffusionistisch orientierten Altamerikanisten - seit Jahrzehnten für Diskussionsstoff sorgt: "Noch kurioser sind die Motive und Designs, die in einen kleinen Prozentsatz der Ziegel von Comalcalco eingeritzt wurden, bevor man sie gebrannt hat. Viele der Motive sind typische Maya-Glyphen und -Bildzeichen. Der Epigraphiker Barry Fell studierte diese anomalen Designs und entschied, es handele sich um römische Maurer-Zeichen. [2] In der Tat machten die Römer ausgiebig Gebrauch von gebrannten Ziegeln, insbesondere nach dem 1. Jahrhundert n.Chr. und ihre Maurer dekorierten ihre Ziegel üblicherweise mit Zeichen, die jenen aus Comalcalco sehr ähnlich sind.

Es gibt aber ein paar dicke Haare in Fells Suppe seiner Identifizierung von Comalcalco als römisches Monument. Zum einen waren die Römer alle andere als außerordentliche Pyramidenbauer. Es ist mehr als nur ein wenig seltsam, dass ein Volk, dessen wenige Pyramiden dem scharf abgeböschten Profil folgten, das die Nubier verwendeten [3], in dem neuen wilden Land von Mesoamerika eine Stufenpyramide nach Art der Maya errichtet haben sollen.

Abb. 4 Die Pyramiden von Comalcalco (hier ein Foto von Tempel Nr. 1) sowie die Paläste und Prunkbauten der Stadt wurden eindeutig von Maya-Architekten geplant, aber das handwerkliche Know-how dürfte zumindest zum Teil aus der Alten Welt 'importiert' worden sein.

In Comalcalco gibt es auch keine angeflanschten Dachpfannen [?; orig.: "flanged roof tiles"; d.Ü.], welche ein gewissermaßen allgegenwärtiges Merkmal römischer Gebäude sind. Und, auch wenn römische Maurer ihre gebrannten Ziegel weitgehend in der selben Weise wie jene in Comalcalco gefundenen markierten, so fügten sie auch noch etwas anderes hinzu: lateinische Graffiti. Bis heute wurden an dieser Fundstätte keine Graffiti auf Latein oder Inschriften im römischen Alphabet entdeckt." [4]

Robert M. Schoch schießt hier in seiner Kritik an Fells Schlüssen deutlich über's Ziel hinaus. Dass Comalcalco keine Exklave der Römer in Mittelamerika war, sondern eine in vieler Hinsicht typische Maya-Stadt, war natürlich auch Barry Fell durchaus bewusst. Comalcalco war kein Resultat gezielter altweltlicher Kolonisierung durch eine große Anzahl über den Atlantik gelangter Invasoren, die weitaus deutlicher Spuren hinterlassen hätten, sondern vermutlich das Ergebnis einer außergewöhnlichen und kurzzeitigen kulturellen Infusion, die durch eine kleine Gruppe, womöglich zur Zeit der Planung von Comalcalco an den Gestaden des Maya-Gebiets gestrandeter Römer, unter denen sich offenbar auch Bauarbeiter bzw. Maurer befanden. Diese stellten dann den Bauherrn der Stadt und deren Architekten ihre Kenntnisse zur Verfügung, bildeten örtliche Arbeiter in der Ziegelbrennerei und dem Maurerhandwerk aus und trugen als kleine Gruppe zu den Bauarbeiten bei.

Abb. 5 Die Ruinen von Comalcalco werden uns auch weiterhin vor Rätsel stelle, die nur zu lösen sind, wenn wir uns von althergebrachten Vorstellungen, wie dem Paradigma des Isolationismus lösen. (Illustration: Litographie von Désiré Charnay; für eine vergrößerte Ansicht bitte das Bild anklicken! )

Diese Hypothese [5] kann den vergleichsweise geringen Anteil von römischen Maurerzeichen auf den Comalcalco-Ziegeln stimmig erklären. Warum unter solchen Umständen keine 'Graffiti auf Latein' auf Ziegeln hinterlassen wurden - vielleicht werden künftig ja noch solche Zeichen entdeckt? - erscheint im vorliegenden Zusammenhang als eine eher nachrangige Frage. Entscheidend ist tatsächlich die frappierende Übereinstimmung der Ziegel-Marken mit römischen Exemplaren, die keineswegs nur von Barry Fell festgestellt wurde. Zu einem ähnlichen Befund gelangte 1994 [6] auch der Archäologe Neil Steede, der vor Ort eine repräsentative Probe von insgesamt 4612 Steinen (mit einem Gesamtgewicht von 21 Tonnen!) sammelte und die Inschriften fotographierte, welche etwa 1.500 von ihnen zierten. Nicht wenige trugen die besagten 'römischen' Maurer-Zeichen (Abb. 3). [7]

Auch Prof. Schoch scheint Barry Fells Arbeit nicht in 'Bausch und Bogen' zu verwerfen, indem er in Sachen Comalcalco zum Schluss noch den amerikanischen Privatforscher David J. Eccott und dessen Sicht der Dinge erwähnt: "Fell verfolgte den richtigen Weg, indem er außerhalb der Neuen Welt nach einer Erklärung für die markierten Ziegel von Comalcalco suchte, sagt David J. Eccott [8], sowohl Berufsmusiker als auch ein talentierter Studiosus der Archäologie Mittelamerikas. Doch ging Fell, wie Eccott argumentiert, nicht weit genug. Wie Fell erkannte, sind die Markierungen viel älter als die Datierung des [zeitgenössischen!; d.Ü.] Römischen Reiches (etwa vom ersten bis fünften Jahrhundert n.Chr.) Eccott verfolgte die Marken zurück zum Minoer-Reich auf Kreta in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v.Chr. Tatsächlich reichen sie noch weiter zurück bis in die schemenhaften Gefilde des 'Alten Europa'." [9]

Abschließend sei dazu allerdings noch Folgendes angemerkt: Natürlich ist es ebenso spannend wie verdienstvoll, die Geschichte der zu Maurer-Zeichen oder Ziegel-Markierungen in der Alten Welt zu erforschen, aber mit der Erbauung der Stadt Comalcalco hat diese Geschichte nichts zu tun! Dazu sind Kreto-Minoer usw. chronologisch viel zu weit von den Maya der ausgehenden späten Präklassik entfernt. Will man nicht bei den von Schulwissenschaftlern in solchen Fällen gerne bemühten Optionen 'Zufall' und 'Parallelentwicklung' Zuflucht suchen, bleibt die Annahme kultureller Infusion durch eine kleine Gruppe von Besuchern aus dem Römischen Reich oder dessen Kulturraum die einzig vernünftige Lösung des 'Ziegel-Phänomens' von Comalcalco - oder um es mit den vorsichtig formulierten Worten von Neil Steede zu sagen: "Die abgebildeten (Abb. 3) Ziegel von Comalcalco sind Teile eines großen Puzzles, dessen vollendetes endgültiges Bild eine römische [...] Präsenz in Amerika tausend Jahre vor der Ankunft von Kolumbus enthüllen könnte." [10]


Addendum

Zum besseren Verständnis der Annahmen und Aussagen Barry Fells zu den mysteriösen Ziegeln von Comalcalco sei hier auch auf William R. Corliss’ kurzen Arlikel "Did captive christians and moslems build this mayan pyramid?" [11] aus dem Jahr 1994 verwiesen, in dem es heißt: "Das Cover des 'Occasional Papers' von 1993 der Epigraphical Society zeigt die Farbfotografie einer Maya-Stufenpyramide in Comalcalco, Tabasco, Mexiko. Diese Pyramide, die auch als Tempel 1 bekannt ist, besteht aus gebrannten Ziegeln. Die Pyramide und die Ziegel sind nicht anomal, aber die Graffiti, die auf Tausenden der Ziegel geschrieben werden, sind, weil es für das römische Nordafrika typisch ist. " Auch "punische, libysche und arabische Schriften sind vertreten. Barry Fell vermutet, dass der Tempel von Christen und Moslems [12] begonnen wurde, die von den Maya gefangen genommen wurden, lange bevor Kolumbus sich westwärts in den Atlantik wagte." [13]


Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Robert M. Schoch, "Voyages of the Pyramid Builders", Penguin Books, 2004 (Übersetzung is Deutsche durch Atlantisforschung.de nach der Leseprobe bei Google Books ohne Seitenangabe)
  2. Siehe z.B.: Barry Fell, "The Comalcalco Bricks: Part 1, the Roman Phase", in: Epigraphic Society (Hrsg.), Occasional Papers 19:299, 1990
  3. Siehe dazu: William R. Corliss, "Im Sudan gibt es mehr Pyramiden als in ganz Ägypten" (2000)
  4. Quelle: Robert M. Schoch, op. cit. (2004); Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de
  5. Zur Stützung der Annahme einer zumindest gelegentlichen Präsenz von Römern im alten Mittelamerika siehe: J. Huston McCulloch, "Der Römer-Kopf von Calixtlahuaca"
  6. Siehe: Neil Steede, "The Bricks of Comalcalco", in: Ancient American 1:8, September / Oktober 1994
  7. Quelle: William R. Corliss, "The Inscribed Bricks Of Comalcalco", in: Science Frontiers No. 99, Mai - Juni 1995
  8. Siehe: Neil Steede und David J. Eccott, "Comalcalco - A case for pre-Columbian transoceanic contact" bei Migration & Diffusion (abgerufen: 14. Juli 2018)
  9. Quelle: Robert M. Schoch, op. cit. (2004); Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de
  10. Quelle: Neil Steede (1994); ins Deutsche übersetzt zitiert nach: William R. Corliss, op. cit. (1995)
  11. Siehe: William R. Corliss, "Did captive christians and moslems build this mayan pyramid?", in Science Frontiers Nr. 91: Januar -Februar 1994
  12. Red. Anmerkung: Da - wie wir heute annehmen dürfen - mit der Erbauung Comalcalos im ersten oder zweiten nachchristlichen Jahrhundert begonnen wurde, der Islam aber erst im frühen 7. Jahrhundert n.Chr. entstand, muss hier wohl von "prämuslimischen Nordafrikanern" gesprochen werden.
  13. Siehe: Barry Fell, in Epigraphic Society, Occasional Papers, 22:1993, S. 57 und Cover

Bild-Quellen:

1) Alfonsobouchot (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Comalcalco Recreación 2.JPG (Lizenz: Creative Commons, „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“)
2) Sémhur und Yavidaxiu (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Comalcalco location.png (Lizenz: Creative-Commons, „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“)
3) William R. Corliss, "The Inscribed Bricks Of Comalcalco", bei Science Frontiers ONLINE
4) Alfonsobouchot (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Comalcalco Templo 1.JPG (Lizenz: Creative-Commons, „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“)
5) Désiré Charnay (1828-1915) (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Comalcalco.Désiré Charnay 1.JPG