Alternative Früh- und Zivilisationsgeschichtsforschung - Probleme und Perspektiven
Vortrag von Bernhard Beier
Der folgende Text wurde vom Verfasser am 12. Oktober 2013 als letzter Redebeitrag auf der Konferenz "Kam Kolumbus 15.000 Jahre zu spät? - Neueste Forschungen über den transatlantischen Kulturaustausch vor Kolumbus" vorgetragen, die am 12./13. Oktober 2013 im Seminar- und Kongresszentrum Galileo Park, Lennestadt-Meggen (Abb. 1), stattfand. Bei Atlantisforschung.de erscheint er in einer illustrierten Online-Fassung. [1]
Abb. 1 Die 'Sauerland-Pyramiden' des Galileo-Parks, wo am 12./13. Oktober 2013 eine für die alternative Ur- und Frühgeschichtsforschung und den modernen Diffusionismus im deutschsprachigen Raum wegweisende Veranstaltung stattfand.
Sehr verehrte Damen, sehr geehrte Herren
In den vorausgegangenen Vorträgen haben Sie einige ausgesprochen interessante Beitrage gestandener Wissenschaftler mitverfolgen können, die über ihre Forschungen zur Vergangenheit unserer Menschheit berichtet, und Ihnen deren bisweilen höchst erstaunlichen Ergebnisse vorgestellt haben.
Nun werden sich viele von Ihnen sicherlich die Frage stellen: Warum hört, sieht und liest man über diese und vergleichbare Forschungen so wenig in den Medien? Ich spreche hier sowohl von den Massenmedien als auch von den bekannten wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen. Und vor allem: Warum, bitte sehr, gibt es keine breit angelegte Diskussion im universitären Bezirk dazu? Sollte es nicht vornehmste und ganz selbstverständliche Pflicht der für solche Themen zuständigen Teile der scientific community sein, sich intensiv – wenn nicht sogar vordringlich - mit derartigen Arbeiten zu befassen?
Dazu ist leider die Feststellung zu treffen, dass es mit der Selbstverständlichkeit im Umgang mit gänzlich neuen oder sogar revolutionären Erkenntnissen in der institutionalisierten, universitären Wissenschaft – Wissenschaftskritiker und Wissenschaftssoziologen benutzen für sie auch die Begriffe 'Schulwissenschaft' und 'Monopolwissenschaft' – nicht weit her ist. Offensichtlich hat man in der Academia sogar ganz enorme Probleme im Umgang mit von Mainstream-Positionen abweichenden Themen, Hypothesen oder Forschungsansätzen, die eben nicht vorurteilsfrei und ergebnisoffen diskutiert, sondern in aller Regel als störend betrachtet und aus dem Diskurs ausgeschlossen werden. Es drängt sich hier – nicht nur mir - geradezu der Eindruck auf, dass es insbesondere in dem für uns interessanten Bereich der mit Vergangenheitsforschung befassten Disziplinen gar nicht mehr darum geht, zu wirklich neuen Erkenntnissen zu gelangen, sondern lediglich bereits bestehendes Wissen nuanciert zu erweitern.
Diese sicherlich provokative Feststellung mag manche von Ihnen erstaunen oder irritieren, da, wie es der Wissenschaftskritiker Georg Menting, ein studierter Geograph, so schön formuliert hat, "in weiten Teilen der Gesellschaft ein Bild von der Wissenschaft und vom wissenschaftlichen Fortschritt" herrscht, "wie es schlichter und edler nicht sein könnte. Die Wissenschaft wird als eine jenseits gesellschaflicher Interessen agierende von großen Forscherpersönlichkeiten geführte Institution betrachtet, die das Wissen über die Welt durch planvolle Ideenverwertung ständig vermehrt."
Von jenem, doch recht naiven Idealbild, das viele von uns – und offenbar auch viele Wissenschaftler - noch immer gefangen hält, scheint der 'real existierende Wissenschaftsbetrieb', wie ich ihn pointiert zu bezeichnen pflege, heute – und hier überspitze ich bewusst ein wenig - weiter denn je entfernt zu sein. Zwar hat sich in der modernen Wissenschaftsgeschichte – ich spreche hier von dem Zeitraum von etwa Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart - bisher auch jede der uns vorausgegangenen Forschergenerationen dem Irrglauben hingegeben, die sprichwörtliche 'Speerspitze' des wissenschaftlichen Fortschritts zu repräsentieren; aber gerade heute, im Zeitalter der computergestützten Hightech-Forschung, geben sich augenscheinlich viele, gerade junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler - vor allem im Bereich der universitären Vergangenheitsforschung - der Illusion hin, dass zu allen wesentlichen Fragen bereits schlüssige Antworten gefunden seien und absolute Aussagen getroffen werden können. Schlimmer noch erscheint mir, dass offenbar nur noch ein Teil der Berufswissenschaftler einigermaßen klare Vorstellungen dazu hat, was Wissenschaft eigentlich genau ist, wie sie als Wissen produzierendes System funktioniert, und wo sie an ihre Grenzen stößt.
Gerade die letztgenannte Aussage dürfte wohl geeignet sein, speziell bei all jenen Akademikern, auf die sie gemünzt ist, wütende Proteste hervorrufen. Auch Ihnen, meine Damen und Herren, mag meine Kritik zunächst übertrieben, ja geradezu 'blasphemisch' erscheinen. Wer sollte sich denn besser mit Wissenschaft auskennen als diejenigen, die ein universitäres Studium absolviert und sich in langer, mühevoller und systematischer Anstrengung unter Anleitung ausgewiesener Fachleute für die wissenschaftliche Forschung qualifiziert haben?
In der Tat liegt es mir fern, diese Anstrengungen gering zu schätzen, aber es gehört eben zu jenem gängigen Trugbild von Wissenschaft, wenn fälschlicherweise vorausgesetzt wird, dass der akademische Nachwuchs im Rahmen seiner – um es ausdrücklich zu betonen: fachspezifisch ausgerichteten – Ausbildung - etwas über die 'Wissenschaft von der Wissenschaft' lernt. Damit sind die Gebiete der Wissentschaftsphilosophie und -theorie, der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie gemeint, also genau jene Kompetenzbereiche, die für eine qualifizierte, kritisch-reflektive Auseinandersetzung mit der Wissenschaft 'an und für sich' zwingend notwendig sind.
Was die von mir erwähnten Misstände in diesem Bereich betrifft, darf ich übrigens auch meinen geschätzten Lehrer und Mentor, den Wisseschaftsphilosophen und -kritiker Dr. Horst Friedrich (Abb. 3) zitieren, der selber im Fach Wissenschaftsgeschichte promoviert hat, und seine Kritik 1997 im einzelnen noch drastischer als ich formulierte: "Leider herrscht unter unseren studierten Wissenschaftlern im Normalfall wissenschaftsphilosophische Unbedarftheit. Und mit der Wissenschaftsgeschichte hat man es meist auch nicht sehr. So erklärt sich das sonderbare Paradoxon, daß die weit überwiegende Mehrzahl der Wissenschaftler weitgehend unwissend darüber ist, was Wissenschaft genau ist, wie sie funktioniert, was sie nicht sein kann, und was für ein Ding genau eine Lehrmeinung ist."
Vermutlich hat man aber 'höheren Ortes' in der Wissenschaftshierarchie gar kein Interesse daran, nachrückende Forschergenerationen mit dem entsprechenden 'geistigen Rüstzeug' auszustatten, wozu Horst Friedrich weiter feststellte: "Zwar kann man Wissenschaftsphilosophie und Wissenschaftsgeschichte an jeder besseren Universität studieren. Aber die Zahl derer, die daran Interesse haben, ist fast vernachlässigbar gering. Offenbar will man dort, wo die akademischen Curricula festgelegt werden, nicht, daß die Art, wie heute meist >Wissenschaft gemacht< wird, hinterfragt wird."
Diese Zitate stammen, wie gesagt, aus dem Jahr 1997. Seither hat sich die Situation allerdings nach meinem Dafürhalten noch weiter verschlechtert. Bezeichnend für die herrschenden Zustände halte ich jedenfalls folgendes Beispiel, von dem mir vor wenigen Jahren ein emeritierter Professor berichtete, der an der Universität Aachen lange Zeit den Lehrstuhl für ein naturwissenschaftliches Fach inne hatte – seinen Namen werde ich hier nicht nennen, da ich im Vorfeld meines Redebeitrags leider keine Gelegenheit mehr hatte, dazu sein Einverständnis einzuholen. Der besagte Professor erzählte mir jedenfalls bei einem Telefonat, dass er während seiner Lehrtätigkeit quasi mit 'Zähnen und Klauen' mit der Universitätsleitung darum kämpfen musste, unentgeltlich und in seiner Freizeit Vorlesungen zu Wissenschaftstheorie und -philosophie halten zu dürfen, da auch er die entsprechenden Defizite bei seinen Studentinnen und Studenten erkannt hatte.
Warum die rechtzeitige Beschäftigung mit der 'Wissenschaft von der Wissenschaft' von allergrößter Wichtigkeit für Lehre und Forschung in allen Disziplinen sein müsste, hat auch schon 1998 der australische Wissenschaftshistoriker David Oldroyd festgestellt, indem er hervorhob, dass "viele Menschen auch beim besten Willen nicht in der Lage sind, das was sie in den Büchern lesen oder was man ihnen in der Schule oder in den ersten Semestern an der Universität beibringt, einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Und wenn die winzige Minderheit derer, die sich bis zur wissenschaftlichen Forschung durchkämpfen, genug Wissen angesammelt hat, um den Wert der herrschenden Paradigmen zu beurteilen, ist sie möglicherweise in solchem Maße akkulturiert und in soziale Verpflichtungen eingebunden, daß es ihnen schwer fällt, gegenüber wichtigen theoretischen Fragen unabhängige Gedanken zu entwickeln". Ich selbst bezeichne diesen Prozess übrigens, bewusst drastisch, als 'universitäre Zurichtung', oder – etwas flapsiger und plakativer - als 'durch den akademischen Windkanal jagen'.
Es dürfte nun jedenfalls klar geworden sein, warum – um noch einmal Georg Menting zu zitieren - "die wissenschaftliche Ausbildung immer noch Absolventen" erzeugt, welche "vor allem darin trainiert sind, Mehrheitsmeinungen als Tatsachen zu akzeptieren und in kritikloser Konformität jede von außen an den Wissenschaftsbetrieb herangetragene Idee als abstruse Spinnerei abzutun."
Damit wären nun wir wieder bei dem bereits angerissenen Bereich der mangelnden Akzeptanz oder sogar Ausgrenzung devianter Forschung und von Mainstream-Positionen abweichender Annahmen angelangt. Wie schon erwähnt, ist dies kein neues Phänomen. Beispiele für solche Akzeptanz- und Ignoranzprobleme gibt es in der Wissenschaftsgeschichte zur Genüge, und im Nachhinein wirken sie bisweilen sogar amüsant, zumal sie den Erkenntnisprozess nicht in bemerkenswerter Weise aufgehalten haben; im Grunde genommen gehört ja der Irrtum zur Wissenschaft wie die Butter zum Brot. So bemerkte Karl Popper (Abb. 4), einer der bedeutendsten Wissenschaftsphilosophen des 20. Jahrhunderts: "... in unserer Wissenschaft stecken viele Irrtümer. Das war immer so. Der wissenschaftliche Fortschritt besteht darin, diese Irrtümer zu finden und durch etwas Besseres zu ersetzen: durch eine bessere Hypothese. Er besteht darin, Irrtümer loszuwerden."
Was nun allerdings die Vergangenheitsforschung in all ihren Facetten – insbesondere die Ur- und Frühgeschichtsforschung betrifft, erweisen sich diese Irrtümer nicht selten als inakzeptabel hartnäckig - und es setzen sich gerade hier nicht wie selbstverständlich die "besseren Hypothesen" durch, sondern es wird sich an überkommenen Vorstellungen festgeklammert, insbesondere, wenn es um die Bewertung der Kenntnisse oder Fähigkeiten alter und ältester Menschheitskulturen geht. Lassen sie mich diese Aussage anhand von drei konkreten Fallbeispielen verdeutlichen:
Als im Jahr 1880 der spanische Jurist und Amateur-Archäologe Marcelino Sanz de Sautuola (Abb 5) auf dem internationalen Archäologenkongress in Lissabon seine Entdeckung der Höhlenmalereien von Altamira präsentierte, wurde er ausgelacht, beschimpft und von einigen Fachwissenschaftlern sogar der Fälschung beschuldigt. Besonders echauffierten sich übrigens die damals federführenden, französischen Archäologen, allen voran Gabriel de Mortillet, eine ihrer Galionsfiguren. Tragischer Weise erlebte Sanz de Sautuola, der von nun an mit dem Stigma leben musste, ein 'Spinner' oder sogar 'Betrüger' zu sein und 1888 verstarb, seine Rehabilitierung nicht mehr. Die erfolgte nämlich erst im Jahr 1902. In der Zwischenzeit waren noch weitere vergleichbare Fundstätten bekannt geworden, und Émile Cartailhac, der neue französische Archäologen-'Papst', zuvor einer der schärfsten Altamira-Kritiker, hatte daraufhin abrupt seine Meinung geändert.
Mein zweites Beispiel behandelt einen unerwünschten Fund, der nicht von einem Laien, sondern von einem Fachwissenschaftler gemacht wurde. Hier geht es um die Tragödie des kanadischen Archäologen Thomas E. Lee (Abb.6), der 1952 auf der Insel Manitoulin im Huron-See Ausgrabungen vornahm. Dabei stieß Lee, der als Kurator am kanadischen Nationalmuseum in Toronto tätig war, auf Steinwerkzeuge und Projektil-Spitzen, die nach seiner, durch zahlreiche geologische Untersuchungen gestützen, Datierung mehr als mindestens 65 000 Jahre alt waren. Das aber widersprach frappierend der damals praktisch unangefochtenen Lehrmeinung zur Erstbesiedlung Amerikas, nach welcher der Doppekontinent erstmals vor ca. 12000 Jahren von Menschen erreicht worden sein soll. Nachdem Lee seine Entdeckung trotzdem publiziert und sich der freundlichen Aufforderung zur Fundunterdrückung durch einen maßgeblichen Paläoanthropologen widersetzt hatte, wurde er von der Orthodoxie seiner Zunft regelrecht 'kaltgestellt'.
Zum einen sorgte man, wie der unlängst verstorbene britische Autor Michael Baigent 1998 festhielt "dafür, daß Lee keine Gelegenheit zu Publikationen mehr erhielt. Zum anderen nutzte eine Anzahl bekannter Fachleute Lee´s Ohnmacht, sich in gedruckter Form zu äußern, dazu, seine Entdeckungen auf krasse Weise falsch darzustellen, wodurch sowohl sein Ruf als Wissenschaftler als auch seine Funde diskreditiert wurden. Und schließlich verschwand ein großer Teil der von ihm entdeckten Artefakte in den Eingeweiden des kanadischen Nationalmuseums, wo man sie vergaß."
Lee's Mentor Jaques Rousseau, der Direktor des kanadischen Nationalmuseums, der sich weigerte ihn fallenzulassen, geriet ebenfalls unter 'Beschuss' und verlor seinen Posten. Auch Lee wurde zur Kündigung gezwungen und stand lange Zeit im beruflichen Abseits. 1982 starb er – bei einem letzten Besuch auf Manitoulin - und so erlebte er es nicht mehr, dass seine archäologischen Ergebnis-Protokolle bereits wenige Jahre nach seinem Ableben wieder in einer fachwissenschaftlichen Publikation veröffentlicht wurden. Offiziell anerkannt sind seine Entdeckungen bis heute nicht.
Sehr gerne würde ich noch über viele weitere exemplarische Vorgänge dieser Art berichten, aber dazu reicht hier die Zeit leider nicht. Eine, durch mein konkretes Fallbeispiel Nr. 3 illustrierte, Bemerkung möchte ich allerdings noch anfügen: Inzwischen geht man nämlich seitens des universitären bzw. fachwissenschaftlichen Establishments taktisch geschickter und nicht mehr mit der Brechstange' vor, was den Umgang mit missliebigen, weil kontraparadigmatischen Funden betrifft – zumindest wenn diese von Profis gemacht werden. Sehr schön lässt sich dies anhand einer spektakulären Entdeckung demonstrieren, welche der israelischen Archäologin Prof. Dr. Naama Goren-Inbar (Abb. 7) von der Hebrew University of Jerusalem im Jahr 1989 gelang. Sie und ihr Team stießen nämlich bei Grabungen im nördlichen Jordan-Tal auf das Fragment eines Weidenholz-Bretts mit einer sorgfältig abgeschrägten Kante, dessen eine Seite so sauber poliert war, dass sich keinerlei Werkzeug-Spuren erkennen ließen.
Nun werden Sie, meine Damen und Herren, vielleicht fragen, was an so einem Brett denn außergewöhnlich sein soll. Eigentlich gar nichts..., wenn man von der nicht ganz unerheblichen Tatsache absieht, dass das Exemplar, von dem hier die Rede ist, ein Alter aufweist, welches zwischen 240 000 und 750 000 Jahren (!) liegt – also zu einer Zeit hergestellt wurde, in der die Erde nach herrschender Lehrmeinung von primitiven Vormenschen bevölkert wurde, deren Fertigkeit in der Holzbearbeitung sich darin erschöpft haben soll, Stöcke anzuspitzen und im Feuer zu härten.
Natürlich wurden auch in diesem Fall umgehend Zweifel an der Authentitziät bzw. Datierung des Spezimens geäußert, aber dies geschah, ohne großen Wirbel um die Sache zu machen und quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Schließlich war und ist Naama Goren-Inbar eine hochkarätige Expertin für die Urgeschichte des Nahen Ostens mit internationaler Reputation – und auf so jemand wird im Kollegenkreis nicht so schnell 'geschossen', denn das wäre womöglich dem Korpsgeist abträglich. Nachdem schließlich die bekannte, populärwissenschaftliche Zeitschrift New Scientist im Juli 1991 darüber berichtet hatte, dass die Datierung des Fragments nun als hieb- und stichfest zu gelten habe, geschah --- gar nichts mehr! Die unschöne Angelegenheit wurde schlicht und einfach zu den Akten gelegt, man breitete den 'Mantel des Schweigens' darüber und ließ Gras über die Sache wachsen.
Aber ob nun mit besagter 'Brechstange' oder mit dem 'Mantel des Schweigens' operiert wird – im Ergebnis läuft die Sache immer darauf hinaus, dass neue, gesicherte Erkenntnise deshalb ignoriert werden, weil sie nicht in das Bild passen, das die Hierarchen des Wissenschaftsbetriebs vermittelt zu sehen wünschen – und dieses Bild entspricht zumeist nicht der Summe und stringenten Interpretation aller vorliegenden, relevanten Fakten, sondern gesellschaftlichen – das heißt vor allem politischen und ökonomischen – Zielvorgaben – oder, um es mit den Worten von Prof. James Scherz von der Universität Wisconsin-Madison zu sagen: "Manchmal erinnert mich das Verhalten der Gelehrten an die finstere Welt des Mittelalters: Korrespondiert neues Material mit den traditionellen Vorstellungen einer Gesellschaft, dann wird es akzeptiert. Steht es im Widerspruch dazu, wird es abgelehnt."
Wie schon eingangs erwähnt, müssen wir uns stets vor Augen halten, dass die institutionalisierte Wissenschaft keineswegs das ist, was sie uns in ihrer Selbstinszenierung vorgaukelt – und was auch viele Wissenschaftler in ihr zu sehen scheinen, die dieses Bild verinnerlicht haben, nämlich eine ausschließlich an einer unbestechlichen, objektiven Auswertung von Daten und Fakten orientierte Gemeinschaft idealer Wissenschaftler, die "für die Falsifikation ihrer Theorien" leben, wie Popper dieses Idealbild einmal skizziert hat. Vielmehr ist sie kritisch zu hinterfragen – vor allem dann, wenn man selber im Bereich der Forschung tätig ist oder deren Ergebnisse bewerten will.
Wenn wir dies tun und wesentliche, dem Wissenschaftssystem immanente Faktoren erkennen, die einem unvoreingenommenen Umgang mit devianter Forschung entgegenstehen, wie Sie Ihnen, meine Damen und Herren, auf dieser Veranstaltung präsentiert wurde, mag man womöglich eine resignative Haltung einnehmen und sich fragen: Hat es überhaupt Sinn, gegen den Strom zu schwimmen und das Risiko einzugehen, lächerlich gemacht zu werden? Ist es nicht Donquichotterie, ein Kampf gegen Windmühlenflügel?
Natürlich wird es – realistisch betrachtet – vorläufig nicht möglich sein, die 'real existierende Wissenschaft' völlig unzukrempeln und gänzlich zu renovieren. Dies wäre nur unter völlig anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf globaler Ebene möglich - und eine solche Veränderung ist derzeit wohl kaum zu erwarten. Die Widerstände, die es zu überwinden gilt, sind gewaltig, aber ich habe Grund zur Annahme, dass gerade innerhalb der Universitäten eine immer größere Unzufriedenheit mit den herrschenden Verhältnissen existiert, die sich über kurz oder lang in irgendeiner Form Bahn brechen wird. Vor allem aber sehe ich gerade in den uns hier beschäftigenden Bereichen der Forschung eine immer stärker anschwellende Flut nicht ins gängige Bild der Vorzeit passender Indizien und Evidenzen, einen neuen Wissenskanon, der früher oder später Paradigmenwechsel erzwingen wird.
Es ist ja immer vorteilhaft, bei einem Vortrag auch Goethe (Abb. 9) zitieren zu können, und da sich mir hier die Chance bietet, möchte ich sie ergreifen und an seinen Satz erinnern: "Wenn Wissen reif ist, Wissenschaft zu werden, kommt es zur Krise." Eine Krise, die - wie ich hinzufügen möchte - lediglich für die Verfechter überkommener Paradigmen eine Bedrohung darstellt, nicht aber für die so genannten Außenseiter, die an diesen Paradigmen 'sägen'.
Und übersehen Sie bitte auch eines nicht: Obwohl uns die Propagandisten der Monopolwissenschaft dies hartnäckig weiszumachen suchen: Forschung ist keineswegs eine ausschließlich an Universitäten oder in der Industrie stattfindende Angelegenheit. Hierzu möchte ich noch einmal meinen wissenschaftlichen 'Ziehvater', Herrn Dr. Friedrich, in dem Zeugenstand rufen, der die Privat- oder Amateurforschung im Jahr 2005 als ein "erstaunliches soziologisches Phänomen", bezeichnet hat und die Tatsache hervorhob, "dass im Verlaufe der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts die Zahl der >Laienforscher<-Gruppierungen [...] drastisch zugenommen hat. Fast ließe sich heute schon von einer Volksbewegung sprechen. Noch um das Ende des 2. Weltkrieges 1945 gab es in der westlichen Welt nur ganz vereinzelt vergleichbare Vereinigungen."
Tatsächlich tummeln sich private 'Amateurforscher' heute bereits in Bereich vieler konventioneller Fachdisziplinen wie der Astronomie, Meteorologie, Meereskunde, Archäologie und Geschichtsforschung, und selbst – man höre und staune! - in die Domäne der Genforschung sind die 'Laien' bereits vorgedrungen, wie das Genspace-Labor (Biosafety Level I!) in New York zeigt, das, wie es im vergangenen Jahr im Magazin der Süddeutsche Zeitung hieß, von "einer Gruppe aus Künstlern, Programmierern und Biologen" gegründet wurde, "die von der professionellen Forschung enttäuscht waren und beschlossen haben: Die Zukunft ihres Fachs wollen sie nicht den blickdichten Laboren der Unternehmen überlassen."
Gerade in Bezug auf außenseiterische Themen gilt es, Pionierarbeit zu leisten, und Kooperationen sowie gegenseitige Hilfe zwischen Profis und Amateuren zu organisieren, von denen beide Seiten massiv profitieren können. Was die Amateure betrifft, so können sie beispielsweise viel von ihren systematisch ausgebildeten Kollegen über die Methoden und Methodenlehre wissenschaftlicher Forschung lernen, während den Profis der – zum Teil in jahrzehntelanger Arbeit zusammengetragene - Wissenspool der privat Forschenden nützlich sein wird.
Dies gilt übrigens ausdrücklich auch für forschende Amateure aus dem Bereich der viel geschmähten Grenzwissenschaften, da diese alternativen Disziplinen gerade im Bereich der Vergangenheitsforschung 'Normalwissenschaftlern' - quasi in der Funktion von Experimental-Wissenschaften - den Nutzen von Theorienpluralismus und paradigmatischer Diversität nahebringen können. Voll und ganz schließe ich mich Herrn Dr. Friedrichs Credo an, "dass eine Institutionalisierung akademischer Meinungsvielfalt an unseren Universitäten überfällig ist und zu einer ungeahnten >Wissensexplosion< führen muss."
Und damit muss ich – etwas abrupt – auch schon zum Schluss meines Referats kommen, das eigentlich auch noch einen Abschnitt als Plädoyer für die inter- bzw. transdisziplinäre Forschung enthalten sollte, welche gerade auch durch die Arbeit unseres Einladers, Herrn Dr. Dominique Görlitz (Abb. 10), in exemplarischer Weise repräsentiert wird. Dieses Thema ließ sich im Rahmen der knapp bemessenen Vortragszeit leider nicht zufriedenstellend realisieren.
Es seien mir hier aber noch zwei kurze Appelle erlaubt. Der eine richtet sich an die, zugegeben sehr heterogene, Gemeinschaft all derjenigen, die im Bereich alternativer, devianter, nonkonformistischer – oder wie auch immer wir sie nennen wollen – Ur-, Früh- und Zivilisations-Gechichtsforschung aktiv sind:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hüten wir uns als wissenschaftlich denkende, forschende Menschen davor, den Eindruck zu erwecken, wir seien im Besitz absoluter Wahheiten, mithin davor, im Verlauf und Gefolge der angestrebten Paradigmenwechsel neue 'Päpste' unserer alternativen Lehrmeinungen zu inthronisieren, oder gar selbst einen solchen Thron anzustreben! Eine neue oder erneuerte Wissenschaft, wie viele von uns sie ersehnen, benötigt keine Päpste, sondern Leit- und Vorbilder - und wer könnte vorbildlicher sein als ein Forscher – sei er nun Profi oder Amateur –, der stets bereit ist, die Ergebnisse seiner Arbeit selbst auf den Prüfstand zu stellen und kritisch-reflektiv zu hinterfragen, um sich gegebenenfalls besseren Argumenten oder neu entdeckten Evidenzen zu beugen?
Der zweite Appell richtet sich an Sie, meine Damen und Herren, bei denen ich wohl ein besonderes Interesse an den Themen und Projekten dieses Kongresses voraussetzen darf. Wie ich aufzuzeigen bemüht war, ist die Erforschung der fernen und fernsten Vergangenheit des Menschen keineswegs das Monopol von Profi-Wissenschaftlern, wenn auch ohne sie kaum vorstellbar. Jeder kann sich, seinen Fähigkeiten, Kenntnissen und Möglichkeiten entsprechend, daran beteiligen. Bitte denken doch auch Sie einmal darüber nach, ob Sie nicht auf die eine oder andere Weise die heute vorgestellten Forschungen – oder auch andere – aktiv unterstützen und zu ihnen beitragen können - sofern Sie dies nicht ohnehin schon tun!
Es freut mich ungemein, dass Sie meinen Vortrag zu einem doch recht sperrigen und nicht gerade leicht 'verdaulichen' Themenkomplex bis zum Schluss aufmerksam verfolgt haben. Dafür meinen herzlichen Dank an Sie!
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Fußnote:
- ↑ Anmerkung: Aufgrund des eng gesteckten Terminplans wurde dieser Vortrag in Lennestadt in einer leicht gekürzten Fassung gehalten. Hier findet sich der vollständige Text.
Bild-Quellen
(1) Bildarchiv Seminar- und Kongresszentrum Gailileo Park
(2) Bildarchiv Atlantisforschung.de
(3) Bildarchiv Atlantisforschung.de
(4) Beao, bei Wikimedia Commons, unter: File:Karl Popper.jpg
(5) 120, bei Wikimedia Commons, unter: File:Sanz de Sautuola.jpg
(6) R.E. Lee, Canada's Sheguiandah Site: pre-Clovis or Paleo-Indian?
(7) The Hebrew University of Jerusalem (The Institute of Archaeology), unter: Prof. Naama Goren-Inbar
(8) Igiveup, bei Wikimedia Commons, unter: File:Quijote-2.jpg
(9) Cybershot800i, bei Wikimedia Commons, unter: File:Goethe (Stieler 1828).jpg
(10) Dominique Görlitz, bei Wikimedia Commons, unter: File:Dominique Görlitz.jpg