William Leete Stone, Jr.

Ein US-amerikanischer Historiker des 19. Jahrhunderts, der sich der Atlantistheorie zur Erklärung des Moundbauer-Phänomens anschloss

Vorbemerkung

Abb. 1 Eine historische Zeichnung des Miamisburg Mound in Ohio. Nicht wenige Gelehrte des 19. Jahrhunderts, wie William Leete Stone Jr., vermuteten den Ursprung der Kultur ihrer Erbauer auf Atlantis.

(red) In der 'offiziellen' Literatur zur Geschichte der Erforschung des Phänomens der Moundbauer ('Moundbuilders') und zur prähistorischen Besiedlung Amerikas wird zumeist nur sehr allgemein auf - üblicherweise als unnsinnig oder abseitig dargestellte - Vorstellungen im 18. und 19. Jahrhundert hingewiesen, in denen Atlantis bzw. das Atlantis-Problem eine Rolle spielte. Wie aber diese Vorstellungen genau aussahen, wer sie vertrat und welche Gründe die betreffenden Gelehrten dazu bewogen, die amerikanische Urgeschichte mit den damaligen Vorstellungen über Atlantis zu verknüpfen, bleibt fast immer unerwähnt. Es drängt sich dabei der Eindruck auf, dass eine nähere - und vorurteilsfreie - Beschäftigung mit dieser Materie unerwünscht ist, und dass diejenigen, die seinerzeit derart 'häretische', d.h. von den heutigen politisch korrekten Lehmeinungen krass abweichende Vorstellungen vertraten, in der historischen Rückschau nach Möglichkeit 'gesichtslos' bleiben sollen. Offenbar möchte man damit auch einer Diskussion der Argumente, Indizien und Evidenzen aus dem Weg gehen, die sie damals vorbrachten, und die z.T. noch heute erstaunlich aktuell sind. Für uns ist das ein guter Grund, uns etwas näher mit jenen fast oder gänzlich vergessenen Gelehrten des 19. Jahrunderts zu beschäftigen, die das Moundbauer-Phänomen aus einer diffusionistischen bzw. atlantologischen Perspektive betrachteten.

Einer dieser Forscher, die wir bei Atlantisforschung.de vorstellen möchten, war der Amerikaner William Leete Stone Jr. (* 4. April 1835 in New York City – 11. Juni 1908 in Mount Vernon, New York), ein Jurist, Journalist, Historiker und Autor von Werken zur Geschichte der USA. Dass er sich auch für die amerikanische Prähistorie interessierte, ist allgemein kaum bekannt, und dass er diesbezüglich auch Atlantis 'ins Spiel brachte', haben auch wir nur eher zufällig bei unseren Recherchen in Online-Archiven entdeckt, die den Zugriff zu alten Zeitungen aus dem 19. Jahrundert ermöglichen - und nicht selten eine ergiebigere und aufschlussreichere Informationsquelle darstellen als die 'gefilterten' schulwissenschaftlichen Lehrbücher und Abhandlungen zur Geschichtsforschung und Wissenschaftsgeschichte. Bevor wir jedoch zu unserem diesbezüglichen (und noch sehr vorläufigen) Recherche-Ergebnis kommen, werfen wir hier zunächst einen kurzen Blick in die englischsprachige Wikipedia, um einige allgemeine Informationen über William Leete Stone Jr. zu erhalten:

Leben und Werk

Abb. 2 Der Campus der Brown University in Providence, an der William Leete Stone Jr. einen Großteil seiner Studien absolvierte.

Er war der einzige Sohn von William Leete Stone Sr., der sich ebenfalls als Historiker betätigte und hauptsächlich mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg befasste. Stone Jr. begann ein Studium an der Brown University (Abb. 2) in Providence, unterbrach es dann jedoch und verbrachte mehrere Monate in Deutschland, da er die deutsche Sprache erlernen wollte, um mehrere deutschspachige militärhistorische Werke zur Geschichte der Amerikanischen Revolution ins Englische übersetzen zu können. Nach seiner Rückkehr an die Brown University in Jahr 1858 graduierte er dort, und erwarb schließlich 1859 den Grad eines Bachelors der Rechtswissenschaften (LL.B.) an der Albany Law School.

Zwischen 1860 und 1863 arbeitete er in Saratoga Springs als Jurist, um sich dann dem Journalismus zuzuwenden. Von 1864 bis 1867 war er Lokalredakteur des New York Journal of Commerce. 1870-74 war er Besitzer und Herausgeber der College Review, einer Zeitschrift, die sich den Interessen US-amerikanischer Colleges widmete. Er war Mitbegründer, einer der Treuhänder und Sekretär der Saratoga Monument Association seit ihrer Einrichtung durch das Parlament des Staates New York im Jahr 1871. Der Saratoga National Historical Park und das besagte Monument befinden sich bei Stillwater, im östlichen New York. Der Park und das Monument erinnern an die erste Schlacht, welche die amerikanischen Aufständler dort 1777 gegen eine britische Armee unter General John Burgoyne gewannen (Schlacht von Saratoga). Zur Grundsteinlegung des Monuments am 17. Oktober 1877, dem hundertsten Jahrestag der Kapitulation von Burgoyne, trug Stone eine historische Rede bei. [1]

Stone, die Moundbauer und Atlantis

Um wenigstens etwas über William Leete Stone Juniors Ansichten zur Prähistorie Nordamerikas zu erfahren, muss man schon einen Blick in Ausgabe vom 14. November des Keowee Courier (Abb. 3) aus South Carolina werfen. Darin findet sich ein Artikel, welcher sich der Frage widmet, wer die ersten vorgeschichtlichen Siedler im Zenrtum jenes Gebiets waren, auf dem sich heute der US-Bundesstaat New York befindet.

Keowee Courier - Kopf.jpg
Abb. 3 Der Kopf der Ausgabe des Keowee Courier vom 14. November 1874, in dem
sich ein Artikel mit interessanten Informationen über William Leete Stone Jr. findet.

In diesem Artikel heißt es einleitend: "Dass einst ein Volk, welches viel älter und weitaus zivilisierter als die Indianer war, diesen Kontinent bewohnte, ist ein Faktum, zu dessen Begründung Archäologen überwältigende Beweise erbringen. In Ermangelung eines besseren Namens für diese Ureinwohner werden sie, nach den bemerkenswertesten Beweisen für ihre Existenz, Moundbauer genannt. Diese Mounds, bisweilen von imposanter Größe, und in ihrer Form stets von außerordentlicher Regelmäßigkeit, existieren in großer Zahl im Westen. Sie sind so zahlreich, dass sich alleine in Ohio, wie geschätzt wird, nicht weniger als 10.000 dieser Mounds befinden, ganz abgesehen von den 1500 Einfriedungen aus Erde und Stein - alle außer Frage das Werk des selben Volkes.

Abb. 4 Nachzeichnungen von Moundbauer-Keramik, abgebildet in Ignatius Donnellys Werk "Atlantis, the Antediluvian World" von 1882

In diesen Mounds und Einfriedungen werden Pfeifen, Haushalts-Geräte, Kriegswaffen und mannigfaltige Erzeugnisse aus Metall und Terrakotta gefunden, welche fraglos einen Zivilisationsgrad belegen, welchen der Indianer, sofern er ihn jemals besaß, niemals so vollständig verlieren konnte, um in den Zustand abzusinken, in dem die Europäer ihn antrafen, als sie das erste mal den Kontinent betraten. Ob die Moundbauer die Vorläufer der Azteken Mexikos waren, ob sie zu Beginn aus Süd- oder Mittelamerikas kamen oder dorther getrieben wurden, ob sie phönizischen Seeleuten entsprangen, oder ob sie dazu taugen, das fehlende Bindeglied zu liefern, das benötigt wird, um die sagenhafte Insel Atlantis mit den Tatsachen der profanen Geschichtswissenschaft zu verknüpfen - dies sind Mutmaßungen, über die zu streiten Altertumsforscher sicher niemals aufhören werden. Wer auch immer dieses verschwundene Volk war, so wurde jedenfalls bis vor kurzem niemals angenommen, dass es auch in den atlantischen Staaten [der USA] existierte. Viele Relikte wurden westlich der Allegheny Mountains ausgegraben, doch in New York wurden unsere ältesten Funde der frühen Okkupation durch die Irokesen zugeordnet." [2]

An dieser Stelle des Beitrags kommt nun William Leete Stone Jr. ins Spiel: "Der Historiker Wm. L. Stone legt jetzt im Magazine of American History seine Ansicht vor, dass diese mysteriöse Rasse einst bestimmte Teile des mitteren und östlichen New York okkupierte. Seine Meinung begründet er mit allerlei Pfeifen, Kupfer und Bronze-Speerspitzen und Spießen, die in den vergangenen ein oder zwei Jahren in der Nähe von Seneca Falls und Saratoga Springs gefunden wurden. Die Terrakotta-Pfeife ist gefertigt mit einem ägyptischen oder sphinxähnlichen Ensemble von Ausstattungen, so ganz anders als die rohe Töpferarbeit der Indianer, aber überhaupt nicht unähnlich den Entdeckungen, die in einigen der Mounds von Ohio gemacht wurden. Der Spieß und die Speerspitzen sind in Größe und Form identisch mit den Kupfer-Gerätschaften, die in den verlassenen Stollen der altertümlichen Kupferbergwerke am Lake Superior entdeckt wurden, und ihr prähistorischer Charakter steht außer Frage.

Abb. 5 Antike Speer-Spitzen aus Kupfer mit z.T. altweltlichen Charakteristika, die in nordamerikanischen Mounds entdeckt wurden. Solche Stücke und vereinzelte Bronzefunde zeigen an, dass die Kultur der Moundbauer auch 'auswärtige' Wurzeln und Kontakte gehabt haben muss. (Foto aus: S. D. Peet, "The Mound Builders", 1892)

Wann wohnten die Hersteller und Verwender dieser Gerätschaften im Tal und auf den Hängen des zentralen New York? Die Sechs Nationen, die unsere Vorfahren vor mehr als zwei Jahrhunderten vorfanden, hatten zu dieser Zeit keine Kenntnis der Kupfer-Bearbeitung oder von verzierten Terrakotta-Arbeiten, auch wenn sie in den Anfangsprozessen der Zivilisation weitaus fortgeschrittenen waren als irgendwelche anderen Indianer-Stämme dieses Kontinents. Die Nachforschungen der sorgfältigsten Historiker, wie auch die Überlieferungen der Indianer selbst, ergeben lediglich 500 Jahre als äußerste Grenze jener Zeit, zu der die Indianer erstmals in jene Teile Nordamerikas einwanderten, wo sie zur Zeit der europäischen Entdeckung vorgefunden wurden.

Es ist offenkundig, dass sie ankamen, lange nachem ihre Vorläufer dieses Land verlassen hatten; anderenfalls hätten die Indinaner etwas von den Kunstfertigkeiten, mit welchen die Moundbauer sich die Bürden des Lebens erleichtert oder aufgeheitert hatten, übernommen und fortgeführt. Hier gibt es einen großen Hiatus in der Geschichte des Kontinents, auf welche Entdeckungen wie jene, über die Mr. Stone berichtete, einen Lichtschimmer werfen, gerade [hell] genug, um die undurchdringliche Dunkelheit zu offenbaren, die jenes Zeitalter verhüllt.

Mr. Stone gibt sich als Konvertit zur Theorie des französischen Archäologen Bourbourg zu erkennen - eine Theorie, welche die alte anerikanische Zivilisation mit dem legendenumwobenen Kontinent Atlantis in Verbindung bringt. Diese Theorie setzt voraus, der Kontinent habe einst als unregelmäßige Halbinsel im heutigen Atlantischen Ozean gelgen und die Kanarischen Inseln, Madeira und westliche Inseln eingeschlossen, die man für die Überreste des Kontinents hält, welche nach einer schrecklichen Konvulsion der Natur übrig blieben.

Klassische Autoren, beginnend mit Plato, liefern viele Anspielungen auf eine Insel, größer als der afrikanische Kontinent, bekannt als Atlantis, die über eine größere Zivilisation verfügte als jene, die Ägypten damals kannte, beherrscht von mächtigen Königen, und schließlich im Ozean untergegangen. Diese Theorie nimmt an, dass die Anfänge der Zivilisation auf diesem Kontinent waren, und dass der Osten vom Westen lernte, und nicht der Westen vom Osten. Es gibt einige Eigenarten der Formation von Land und Meer, die in letzter Zeit zu einer Wiederbelebung dieser Theorie über Atlantis geführt haben und sehr für sie sprechen." [3]

Leider erfahren wir aus dem Artikel nicht mehr über Stones spezifische Ansichten in Sachen 'Atlantis' und Zivilisationsgeschichte - dazu dienlich ist möglicherweise die Lektüre seines erwähnten Artikels im "Magazine of American History", der uns leider noch nicht vorliegt -, sondern wir müssen uns mit einem etwas doppeldeutigen redaktionellen Abschluss-Kommentar des Autors zur Atlantis-Theorie begnügen: "Was uns betrifft, so sind wir genügend gewillt, sie zu akzeptieren, wann auch immer die Wissenschaft der Hypothese zu Hilfe kommen wird und ihr wenigstens ein solides Bein gibt, um darauf zu stehen." [4]





Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter: William Leete Stone, Jr. (abgerufen: 14. August 2015)
  2. Quelle: o.A. (Utica Herald), "Who Were the First Dwellers in Central New York", 14. November 1878, in: The Keowee Courier; Übersetzung ins Deutsche durch Atlantisforschung.de, nach CHRONICLING AMERICA - Historic American Newspapers, unter: Keowee courier., November 14, 1878, Image 1
  3. Quelle: ebd.
  4. Quelle: ebd.

Bild-Quellen:

1) Matthew Canfield Read und ‎Charles Whittlesey, "Antiquities of Ohio: Report of the Committee of the State Archaeological Society", Ohio State Board of Centennial Managers, 1877, plate No. 11 (Bild-Bearbeitung durch Atlantisforschung.de)
2) Apavlo bei Wikipedia - The Free Encyclopedia, unter File:BrownUniversity-Campus1908.png
3) Ignatius Donnelly, "Atlantis, the Antediluvian World", New York, 1882, Teil III, Kap. III, "THE COLONIES OF THE MISSISSIPPI VALLEY"; nach: Sacred Texts.com
4) Stephen Denison Peet, "The Mound Builders", 1892, S. 272 / Bild-Archiv Atlantisforschung.de