Das minoische Atlantis des Dr. Angelos Galanopulos (Teil II)
Galanopulos ging aber nun zu einer wissenschaftlich fundierten Beweisführung für seine These von der Identität Thera-Atlantis´ über: In der Ägäis und auch sonstwo sind nur kleine Landstücke plötzlich verschwunden, zum Beispiel die Stadt Helike im Golf von Korinth während des Erdbebens von 373 v. Chr. Das Verschwinden einer Landfläche von Tausenden Quadratkilometern ist zwar geologisch möglich, vollzieht sich aber nur so langsam, dass innerhalb einer Generation kaum eine Veränderung festzustellen wäre. Auch das Ansteigen der Ozeane infolge des Schmelzens des Polareises geht ja langsam vor sich; es beträgt knapp einen Meter innerhalb von tausend Jahren. Veränderungen wie diese gibt es in allen Erdteilen, aber sie verursachen keinen bemerkbaren Schaden und bleiben infolge ihrer Langsamkeit von der Allgemeinheit unbeobachtet.
Gegen die These, wonach Atlantis sich im Atlantischen Ozean befunden habe, sprechen alle ozeanographischen Daten. Der Unterwasserhöhenzug in der Mitte des Atlantik, aus dem die Azoren aufragen, ist häufig mit Atlantis in Zusammenhang gebracht worden. Doch bei der radiologischen [1] Untersuchung des Meeresgrundes auf sein Alter wurden keinerlei Beweise dafür gefunden, daß dort innerhalb der letzten 72 000 Jahre irgendwo Inseln versunken wären. Die Dicke der festen Erdkruste größer als unter den Ozeanen. In der Nähe der Azoren wurde festgestellt, daß die Erdrinde dort wesentlich dünner ist als auf dem Kontinent. Ein "Atlantischer" Kontinent wäre in diesem Gebiet nahezu unmöglich.
Die Katastrophe von Thera war - da die Insel sich im Zentrum der antiken Welt befand - ein Ereignis, das nur mit einem Atomkrieg von heute vergleichbar wäre. Hunderttausende Menschen mögen ums Leben gekommen, Städte, Häfen und Ortschaften auf vielen Inseln und auch auf dem Festland Griechenlands und Kleinasiens von der Flutwelle weggespült oder von orkanartigen Regengüssen, ausgelöst durch die Vulkanasche, ertränkt worden sein. Was an Bauten übrig blieb, stürzte unter der Wucht von Flutwellen ein und wurde zu Schotter zermalmt; Schiffe strandeten oder wurden mehrere Kilometer weit landeinwärts geschleudert; Städte im Hochland, zumindest jene in relativer Nähe von Thera, wurden von Erdbeben erschüttert und zerstört.
Während dieser Zeit verdunkelte vulkanische Asche den Himmel (Abb. 8), verwandelte den Tag in Nacht und löste furchtbare Gewitter aus. Das Meer aber war erfüllt von Schlamm. Eine derartige Katastrophe muß in der Erinnerung der Völker des gesamten östlichen Mittelmeerraumes Eindruck hinterlassen haben. Die Atlantissage ist nur eine aus einer ganzen Familie verwandter Mythen. Auch die griechische Legende von der Deukalion-Flut mag ihren Ursprung in der Eruption und dem Zusammenbruch von Thera haben. Nun ist aber die Flut des Deukalion nur das griechische Gegenstück zur biblischen Sintfluterzählung, und diese wieder steht in Verbindung zum sumerischen Gilgamesch-Epos, in dem das Urbild des Noah, Utnapischtim, von der Flut berichtet. Galanopulos bringt auch andere Mythen und Legenden - zum Beispiel den biblischen Bericht vom Auszug der Juden aus Ägypten - in Verbindung mit der Katastrophe von Thera.
Dies sind nur die groben Umrisse der von Galanopulos vertretenen Theorie. Damals, bei jener Zusammenkunft in Athen, führte er mir noch eine Reihe von beachtenswerten Details vor Augen. So soll, laut Platon, Atlas, der erste König von Atlantis, einen Bruder namens Eumelos gehabt haben, der jenen Teil des Inselreiches regierte, der den Säulen des Herakles am nächsten lag. War aber diese Meerenge in Wirklichkeit nicht Gibraltar, sondern die südöstliche Spitze des Peloponnes, dann wäre Melos die nächstliegende minoische Insel, und diese also das Herrschaftsgebiet des Königs Eumelos gewesen. Melos ist geologisch Thera ähnlich, ist also ebenfalls ein eingestürzter Vulkan, doch es gibt keine Berichte über Ausbrüche.
Auf Thera findet sich ein Steinblock, der die archaisch-griechische Inschrift "Eumelos" trägt. Vielleicht, vermutet Galanopulos, ist das der Name eines Neusiedlers aus der Zeit bald nach der Eruption, und vielleicht war er ein Nachkomme jenes Königs. Im übrigen tragen im alten Griechenland sehr häufig sagenhafte Könige oder Heroen - die vielfach auch als mythische Staats- oder Stadtgründer verehrt wurden - mit Städten oder auch Gegenden korrespondierende Namen (z.B. Pelops - Peloponnesos). Dabei ist es gleichgültig, ob diese Heroen reale Personen waren oder ob man sie nachträglich erfand, um den Ursprung der Stadt zu personifizieren. Wenn es eine solche Beziehung zwischen Eumelos und der Insel Melos gab, so wäre dies ein Indiz für die Lokalisierung von Atlantis im östlichen Mittelmeer. [2]
Im Verlauf unseres Gespräches, das in seinem Arbeitszimmer am Fuße der Akropolis stattfand, blickte Galanopulos aus dem Fenster und zitierte, was Platon über das alte Athen aus der Zeit des Krieges mit mit Atlantis berichtet hat (Platon, Kritias, 5. Kapitel): "Vor allem sah der Hügel der Akropolis ganz anders aus als heute. Denn in einer einzigen Nacht hatte ein gewaltiger Regen das Erdreich fortgeschwemmt und den nackten Felsen bloßgelegt. Zur gleichen Zeit ereigneten sich Erdbeben, und dann kam es zu jener außergewöhnlichen Flut, die die dritte vor der großen Überschwemmungskatastrophe des Deukalion war ... Auf der Akropolis befand sich vorher eine ergiebige Quelle, die durch das Erdbeben verschüttet wurde. Davon sind nur ein paar kleine Quellen übrig geblieben, die in der Nachbarschaft fließen."
Dann setzte der Doktor hinzu: "Sie müssen wissen, daß sich in Attika sehr selten schwere Erdbeben und Überschwemmungen ereignen. Nur ein so katastrophales Ereignis wie der Einsturz von Thera konnte eine solche Wirkung auf die Akropolis haben. Man muß die tatsächlichen Hinweise auf die Quelle in Betracht ziehen: sie entsprang auf der Akropolis und versiegte durch ein Erdbeben um ungefähr 1500 v. Chr. Interessant ist auch, daß Platon drei Flutkatastrophen erwähnt. Als die Vulkaninsel Krakatau zwischen Java und Sumatra (1883) infolge eines ungeheuren Ausbruchs einstürzte, entstanden jedenfalls drei große seismische Flutwellen. Auf Grund eines Analogieschlusses kann man also annehmen, daß auch die Explosion von Thera mehrere solche Wellen verursacht hat. In der Deukalion-Sage wurden sie dann als drei Überschwemmungen stilisiert."
Rückblickend erscheint mir, daß mein Zusammentreffen mit Galanopulos schicksalhaft war. Jedenfalls kam es zu einem für die Entwicklung unserer weiteren Beziehungen besonders günstigen Zeitpunkt zustande. Wir waren beide, ohne es zu wissen, für ein Abenteuer bereit. Für mich war die Zeit gekommen, um über "Alvin" hinauszudenken, denn das U-Boot war fertig; das Ende seiner Erprobungszeit näherte sich. Atlantis aber ist ein Thema, das jeden Ozeanographen interessieren muß. Auch für Galanopulos war der Gedanke, durch mich die Möglichkeit zu erhalten, an einer Expedition teilzunehmen und seine Theorie zu beweisen, sicher sehr anregend.
Auf Thera wurde im 19. Jahrhundert - bevor Evans die glanzvolle minoische Kultur aufgedeckt hatte - vereinzelt Ausgrabungen durchgeführt, doch wurde den aufgefundenen minoischen Überresten verhältnismäßig wenig Bedeutung beigemessen. Nach einigen Untersuchungen gegen Ende des Jahrhunderts schien Thera vergessen zu sein; freilich nicht für immer ...
Im Verlauf der 66 Jahre, in denen archäologisches Interesse an der Insel kaum vorhanden war, wurden dort große Mengen vulkanischer Asche abgebaut und zur Zementerzeugung exportiert. Während dieser Zeit fand man häufig Antiquitäten; manche kamen in das kleine Museum der Insel, andere verschwanden in Privatsammlungen. 1956 entdeckte man im Verlauf des Abbaus der Asche ganz zufällig ein minoisches Haus. Bei dieser Gelegenheit erhielt Dr. Galanopulos ein Stück Holz eines Baumes, der in vulkanischen Bimsstein eingebettet gewesen war. Er ließ es nach der Radiokarbonmethode (C-14) untersuchen: Sie ergab ein Alter von etwa 3500 Jahren. Das bedeutet, daß die aufgefundenen minoischen Ruinen in die Glanzzeit der minoischen Kultur gehörten.
War eine Rekonstruktion der Insel Thera möglich, so wie sie vor dem Zusammenbruch ausgesehen hatte? Konnten moderne ozeanographische Methoden dabei helfen? Ich war sogleich felsenfest davon überzeugt. Sehr enthusiastisch versprach ich Dr. Galanopulos, daß ich die für solche Untersuchungen notwendigen Wissenschaftler und die erforderliche Ausrüstung nach Thera bringen würde. Vielleicht regte mich auch die Vorstellung an, daß ein solches geradezu naturgegeben für "Alvin" war. Mir war klar, daß die Theorie des Dr. Galanopulos ebenso durch archäologische Untersuchungen der Insel wie durch eine Unterwassererforschung des Einbruchskessels bewiesen werden müsse. Vor allem ging es mir aber um Beweise für die Identität von Atlantis mit Thera.
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Anmerkungen und Quellen
Dieser Beitrag von James Watt Mavor jr. wurde der deutschsprachigen Ausgabe seines Buches Voyage to Atlantis (1969) entnommen, die 1973 unter dem Titel "Reise nach Atlantis" im Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen ist.
Fußnoten:
- ↑ Red. Anmerkung: Hier liegt entweder eine terminologische Fehlleistung durch Mavor vor, oder aber ein Fehler bei der Übersetzung seines Buches ins Deutsche! Die erwähnten Untersuchungen des Meeresbodens können nämlich schwerlich mit den Methoden der Radiologie, sondern vielmehr nur mit denen der Radiometrie erfolgt sein!
- ↑ Red. Anmerkung: Das ist - mit Verlaub gesagt - 'blühender Unsinn'! Bei Platon findet sich keine derartige Angabe. Vielmehr wird im Kritias, wie es oben richtig zitiert wird, nur die Feststellung getroffen, dass die Ägypter die Eigennamen offenbar aus einer anderen Sprache - dem 'Atlantischen'? - in ihre Sprache übertragen hätten. Von Griechisch als Ursprache ist dort keine Rede! Logischer erscheint, dass Solon auch eine ägyptische Bezeichnung für den westlichen Ausgang des Mittelmeers graecisiert hat.
Bild-Quellen:
- 7) http://de.geocities.com/schulnetz/griechenland/kreta.html (Seite nicht mehr online)
- 8) http://www.seapyramid.net/pictures/images-pic1/Ltitel. (Seite nicht mehr online)
- 10) http://www.fw.cz/cisar/atlantis/2.html (Seite nicht mehr online)