Atlantomanie

Definition

(red) "Besessenheit von Atlantis", übertriebene oder angeblich krankhafte Hinwendung zur Beschäftigung mit dem Thema 'Atlantis' (Gegenwort: "Atlantophobie"); im anti-atlantologischen Sprachgebrauch als pathologisierende Charakterisierung für jede akzeptierende Beschäftigung mit dem Atlantis-Problem verwendet. Eingeführt wurde der Begriff Atlantomane/n 1932 von dem Schriftsteller und Kulturhistoriker Alexander Bessmertny (1888-1943) in seinem Buch "Das Atlantisrätsel" (Abb. 1). [1]

Abb. 1 In A. Bessmertnys "Das Atlantisrätsel" war 1932 zum ersten mal von "Atlantomanen" die Rede.

In seltenen Fällen wurde die 'Verbalkeule' Atlantomanie allerdings auch von 'bekennenden Atlantologen' zur Abgrenzung gegenüber vermeintlich oder tatsächlich unwissenschaftlichen Umgehensweisen mit dem Atlantis-Problem genutzt. So verwendete sie spätestens 1944 der schwedische Geologe und schulwissenschaftlich ausgerichtete Atlantisforscher Arvid Gustaf Högbom, welcher Atlantis in der Nordsee lokalisierte, zur Diskreditierung von Anhängern der 'Klassischen Atlantis-Theorie'. [2] Vice versa griff aber auch der sowjetische Atlantisforscher Nikolai Zhirov, ein Anhänger eben jener 'klassischen' Annahme eines 'Atlantis IM Atlantik', hinsichtlich des esoterischen Atlantismus den Ausdruck Atlantomanie auf. [3] In ähnlicher Weise hatte im angelsächsischen Sprachraum bereits 1937 James Bramwell - ebenfalls keineswegs ein eingschworener Gegner der Atlantisforschung [4] - nicht nur über so genannte Atlantomania doziert, sondern er machte, um das pseudomedizinische Bild zu vervollständigen, gleich auch noch einen "germ of Atlantomania" ("Atlantomanie-Erreger") aus. [5] Der tschechische Altphilologe František Novotný verwendete den Begriff Atlantomanie in der frühen 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts als Antonym (Gegenwort) zum Terminus 'Atlantologie'. [6]

In aller Regel gehören die Begriffe 'Atlantomanie' und 'Atlantomane/n' jedoch zum aktiven Wortschatz sich betont 'wissenschaftlich' gebender Atlantologie-Kritiker (mit und ohne Anführungszeichen), die ihrer Geringschätzung Atlantisforschern gegenüber plakativ Ausdruck verleihen wollen. So beklagte 1979 Paul DeForest, Professor für Politikwissenschaft am Illinois Institute of Technology, in seiner Besprechung von "Atlantis: Fact or Fiction?" - und im Kontext des damaligen Atlantis-Hypes - eine "ever-increasing tide of Atlantomania" ("stetig ansteigende Flut der Atlantomanie"). [7] Gerade im Bereich der Buchrezensionen scheint dieser terminus horribilis ein probates und beliebtes Mittel zu sein, um im Lager der Gleichgesinnten 'Linientreue' zu demonstrieren. Vor diesem Hintergrund fand er offenbar bei dem britischen Archäologen Glyn Daniel [8], aber auch bei dem 2007 verstorbenen, US-amerikanischen Altphilologen Thomas G. Rosenmeyer von der University of California, Berkeley, Verwendung. Rosenmeyer benutzte in seiner Besprechung einer Arbeit seines deutschen Kollegen Heinz-Günther Nesselrath die Formulierung "all varieties of Atlantomania" ("alle Varianten von Atlantomanie") durchaus synonym mit 'alle Formen der Atlantisforschung'. [9]

Der deutschsprachige Begriff "Atlantis-Besessene" wurde erst 2006 auch von Wolfgang Schenke in den akademischen Göttinger Miszellen - Beiträge zur ägyptologischen Diskussion verwendet [10], und 2007 kommt ein Rezensent der WIENER ZEITUNG in seiner Besprechung eines atlantologiekritischen Buches von Pierre Vidal-Naquet (der darin den Begriff >Atlantomanen< ebenfalls benutzt) zu der kryptisch-verquasten Schlussfolgerung: "Gegen Atlantomanie scheint kein Kraut gewachsen." [11] Schließlich verwendete ihn 2010 auch der Historiker Andreas Hartmann in seinem pseudo-skeptisch gehaltenen Buch mit dem irreführenden Titel "Atlantis - Wissen was stimmt".


Anmerkungen und Quellen

  1. Siehe: Alexander Bessmertny, "Das Atlantisrätsel: Geschichte und Erklärung der Atlantishypothesen", Leipzig, 1932
  2. Quelle: Hans Pettersson, "Atlantis und Atlantik", Wien, 1948, S. 63 (Orig: Göteborg, 1944); zitiert nach: Jürgen Spanuth, 1976, S. 425
  3. Siehe: Nikolai Zhirov, "Atlantis - Atlantology: Basic Problems", Moskau, 1970, S. 17
  4. Anmerkung: Auf Bramwell geht vermutlich auch der - zu Recht umstrittene - 'Lehrsatz': "Atlantis must be understood as located in the Atlantic Ocean or it is not Atlantis at all" zurück.
  5. Siehe: James Bramwell, "Lost Atlantis" (Reprint der Ausgabe von 1938), Kessinger Publishing, 30.04.2005, S. 223
  6. Siehe: František Novotný, "The Posthumous Life of Plato", Den Haag, 1977 (Reprint: Springer, 2012), S. 531
  7. Siehe: Atlantis: Fact or Fiction? by Edwin S. Ramage (Ed.) Indiana Universit Press, 1978, 224 pages, $ 10,95; in: Bulletin of the Atomic Scientists (Educational Foundation for Nuclear Science, Inc.), Apr. 1979, 56 Seiten, Band 35,Nr. 4, ISSN 0096-3402, S. 39 (abgerufen: 29.12.2012)
  8. Siehe: Glyn Daniel, "Atlantis My Happy Home", in The Spectator, 30. März 1956, S. 12
  9. Siehe: Thomas G. Rosenmeyer, Heinz-Günther Nesselrath, Platon und die Erfindung von Atlantis. Lectio Teubneriana XI. Munich & Leipzig: K.G. Saur, 2002. Pp. 62. ISBN 3-598-77560-1. EUR 18.00., in: Bryn Mawr Classical Review 2002.11.14
  10. Siehe: Wolfgang Schenke, Atlantis, Labyrinthos: Statt einer Fußnote; Göttinger Miszellen GM Nr. 211/2006, S. 9f.
  11. Quelle: i.w. (Redaktionskürzel), "Die Atlantomanie - Vidal-Naquet: Atlantis", in: WIENER ZEITUNG.at (Bücher aktuell), 16.01.2007, 14:57 Uhr (abgerufen: 29.12.2012)