Nordeuropa - Eine atlantologische Einführung

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Allgemeine Informationen

Abb. 1 Die regionale Gliederung Europas nach der Konvention der Vereinten Nationen. Nordeuropa ist hier blau hinterlegt eingezeichnet.

(red) Nordeuropa (Abb. 1) ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein politisch-geographischer Sammelbegriff für alle nördlich gelegenen Länder des europäischen Subkontinents von Eurasien. Klar definiert ist dieser Begriff allerdings nicht. Für gewöhnlich werden damit die 'Nordischen Länder' Europas zusammengefasst, namentlich Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden.

Häufig werden aber auch, wie es in der deutschsprachigen Wikipedia hei8t, "die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, der Norden des europäischen Russlands und der nördliche Teil des Vereinigten Königreichs (Schottland) hinzugerechnet. Zieht man die Grenzen noch weiter, könnten auch Irland, Flandern, die Niederlande und die Tiefebenen Norddeutschlands und Polens als Teil Nordeuropas gesehen werden." [1]

Abb. 2 Das Einzugsbebiet der Nordischen Bronzezeit um 1200 v. Chr.

Vor- und Frühgeschichtsforschung

Was den Bereich der (konventionellen) Vor- und Frühgeschichtsforschung angeht, spielen große Teile Nordeuropas als Schauplatz der Nordischen Bronzezeit eine Rolle, einer Epoche der Bronzezeit im südlichen Skandinavien, deren Fundplätze sich von Dänemark und Norddeutschland bis Estland erstrecken. Was den skandinavischen Norden betrifft, wird stattdessen für die nachsteinzeitliche Periode der Begriff Metallzeit verwendet. Die - ohnehin immer dubioser erscheinende - archäologische Gliederung in Kupferzeit, Bronzezeit und Eisenzeit ist dort nämlich völlig untauglich, weil in den Fundstätten dieses Raumes viele Legierungen und auch Eisen nebeneinander festgestellt wurden, d.h. gleichzeitig in Gebrauch kamen.

Traditionell wurde der kulturelle Entwicklungsstand der bronzezeitlichen Nord- und Nordwest-Europäer in großen Teilen der universitären Forschung unterschätzt bzw. kleingeredet, z. B. durch verniedlichend-geringschätige Begriffe, wie "Häuptlingstümer der Bronzezeir" [2]. So beklagte der Archäologe Klaus Goldmann (1936-2019) vor einigen Jahren, dass die bronzezeitlichen Bewohner Norddeutschlands und Jütlands in seinem Kollegenkreis abschätzig als hinterwäldlerische „Auerochsenjäger“ dargestellt werden. [3] Dabei hat die Vorgeschichtsforschung, wie der Autor Gerhard Herm bereits 1975 bemerkte, "längst ermittelt, daß etwa in Südengland, Schleswig-Holstein und Jütland während der Bronzezeit Fürsten gelebt haben, die über beträchtliche Reichtümer verfügten. Sie bezogen Gold aus Irland, Silber aus Spanien, fanden Bernstein vor ihren eigenen Küsten, besaßen Schmucknadeln aus Mitteldeutschland, Gefäße aus Griechenland, Fayenceperlen aus Ägypten..." [4] In diesen Kontext gehört auch eine 1982 am Strand der Insel Föhr gefundene, von dem eben erwähnten Archäologen Klaus Goldmann begutachtete bronzene Lanzenspitze mykenischer Herkunft, die später leider im Museum für Archäologie auf Schloss Gottorf spurlos 'verschwand'. [5]

Abb. 3 Kartographische Darstellung des in Nordeuropa lokalisierten Atlanter-Reichs zur Bronzezeit nach Gerhard Herm. Das von ihm skizzierte Gebiet ist weitgehend identisch mit dem südlichen Bereich der 'Nordischen Bronzezeit' und entspricht in etwa J. Spanuths Vorstellungen.

Die für Ferntransporte hochwertiger Tauschwaren notwendigen, von Ägypten, der Levante und dem östlichen Mittelmeer-Raum, über das Schwarzmeer-Gebiet und die Donau einerseits, und zum anderen über den atlantischen Westen via Iberien bis hin nach Nordeuropa reichenden Handelsnetze bedingen allerdings eine gesellschaftliche Komplexität und einen Entwicklungsstand, den nicht wenige Fachwissenschaftler/innen gerade den damaligen Nord- und Nordwesteuropäern nicht zuzubiligen bereit waren oder sind. Daher lösen Funde, wie jener der so genannten 'Himmelsscheibe von Nebra' [6] [7] im Jahr 1999 oder des Schlachtfelds an der Tollense in Mecklenburg-Vorpommern (1996) bei vielen universitären Experten zunächst ungläubiges Staunen aus, da sie die gängigen Klischees zur bronzezeitlichen Prähistorie Nordeuropas ad absurdum führen.

Speziell die Überbleibsel des Schlachtfelds im Tollensetal, wo um 1250 v. Chr. zwei feindliche Heere mit insgesamt ca. 5000 Kämpfern - darunter auch berittene Kombattanten - aufeinanderprallten, zeigen deutlich, dass in diesem Raum keineswegs nur lose assoziierte, von "Häuptingen" beherrschte dörfliche Gemeinschaften existiert haben können. "Denn", wie es de Wissenschaftsjournalist Berthold Seewald formulierte, "5000 Menschen müssen benachrichtigt, zusammengebracht, organisiert, verpflegt und geführt worden sein.

In einem Landstrich, für den zu jener Zeit aufgrund der zur Verfügung stehenden Ressourcen eine durchschnittliche Einwohnerzahl von fünf Personen pro Quadratkilometer angenommen wird, ist das eine verblüffende Leistung. Sie kann nur mit der Existenz einer zentralen Herrschaft erklärt werden, die für jene Epoche bislang kaum vorstellbar schien." [8] Zudem scheint es sich bei dieser Schlacht um eine militärische Auseinandersetzung zweier Mächte gehandelt zu haben, bei der es um die Kontrolle wichtiger Fernhandelswege ging. [9]

Nordeuropa in der Atlantisforschung

Abb. 4 Die 'Große Wanderung' von Flüchtlingen aus dem zerstörten Atlanter-Reich (am oberen Bildrand) und anderen verheerten Gebieten Nord-, und Mitteleuropas bis in den Mittelmeer-Raum nach Jürgen Spanuth

Den Zusammenbruch der entwickelten bronzezeitlichen Kulturen Nord- und Nordewesteuropas betrachtet eine ganze Reihe von Atlantisforschern als Auftakt des so genannten Bronzezeit-Kollapses, dem fast alle hoch entwickelten Kulturen der Bronzezeit zum Opfer fielen. Im Gegensatz zur den Vertretern konventioneller Vor- und Feühgeschichtsforschung, die diesen Zivilisations-Kollaps als ein auf den - vereinfachend gesagt - östlichen Mittelmeer-Raum beschränktes Ereignis betrachten, sehen sie hier weitaus großräumigere Zusammenhänge, die z.B. als Folge eines endbronzezeitlichen Klimasturzes mit katastrophischen Ursachen und katastrophalen Folgen gedeutet werden. [10]

In einer Art 'Domino-Effekt' sollen zur Abwanderung gezwungene Nordeuropäer auf ihrem Zug gen Süden immer mehr Völker mitgerissen haben, die sich ebenfalls in Bewegung setzten. Dies war wohl eine ähnliche Situation, wie sie viele Jahrhunderte später auch im Rahmen der spätantiken Völkerwanderung zustande kam. Als wesentlicher Vorreiter dieser Betrachtungsweise darf Jürgen Spanuth (1907-1998) gelten, der die besagte, von Nordeuropa ausgehende Migration, welche letztlich in den Sturm der noch immer rätselhaften 'Seevölker' auf die Hochburgen bronzezeitlicher Kulturen im östlichen Mittelmeer-Raum mündete, als 'Große Wanderung' [11] (Abb. 4) bezeichnete.

Spätestens nach der dortigen Ankunft der Migranten scheint eine Mythisierung der 'alten Heimat' - bzw. des vormaligen Atlanter-Reiches - eingesetzt zu haben, woher zumindest Teile dieses großen Flüchtlingsstroms gestammt haben sollen. Dies und die mögliche Spuren verwischenden Verwüstungen im Gebiet des vermuteten nordeuropäischen Atlantis, aber auch der eher fragmentarische Charakter des platonischen Atlantisberichts machen die exakte Lokalisierung solch eines 'Atlantis des Nordens' ungemein schwer. Zudem sind sich selbst jene Forscher/innen, die ein Atlantis in Nord- oder Nordwesteuropa annehmen, durchaus nicht einig in Hinsicht auf Lage und Ausdehnung dieses Reiches. Allerdings folgt eine Mehrheit diesbezüglich den Annahmen von Spanuth, Herm und anderen, die Atlantis große Bereiche Skandinaviens und einen Teil Norddeutschlands zurechnen. Zu ihnen gehört auch der Privatgelehrte Günter Bischoff, der annimmt, bei der heutigen Ostprignitz könne es sich um den südlichen Ausläufer des Atlanter-Reiches gehandelt haben. [12] Andere vermuten dagegen, dass sich, wie es Dr. Horst Friedrich 1989 formulierte, "von Marokko bis Südskandinavien eine spätbronzezeitliche, atlanto-europäische Hochkultur" erstreckte, der möglicherweise sogar "die - bislang unerkannte - Rolle einer >Zivilisationswiege< (mit allen positiven und negativen Aspekten einer solchen) für den Mittelmeerraum, Nordafrika und den Nahen Osten zufiel." [13]

Ähnlich kontrovers sind die Meinungen auch in Bezug auf die Frage, wo genau sich einst die Metropolis (Hauptstadt) der Atlantier befand - eine Frage, die Jürgen Spanuth seinerzeit sehr entschieden mit 'Helgoland' beantwortete. Hier zum Schluss noch einige weitere Beispiele: Kirsten Bang (1908-2003) und später John Esse Larsen - beide aus Dänemark - haben Atlantis unabhängig voneinander im Wattenmeer ausgemacht, einem Bereich der Nordsee vor den Küsten der Niederlande, Deutschlands und Dänemarks. Für das Küstengebiet Dänemarks plädiert auch der Privatforscher Ellis Peterson aus den USA. Die Franzosen Jean Deruelle (1915-2001) und sein Schüler Sylvain Tristan lokalisieren die Metropole der Atlantier schließlich auf der Doggerbank, eine Hypothese, die bereits 1951 von der US-Amerikanerin Rachel Louise Carson (1907-1964) ins Gespräch gebracht wurde.


Beiträge zum Thema Nordeuropa

  • Island - Atlantis auf der 'Insel aus Feuer und Eis'? (red)
  • Åland - Ein Archipel in der Ostsee, auf dem die Steinzeit länger dauerte als anderswo (red)

Ostsee-Anomalie



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Anmerkungen und Quellen

Fußnoten:

  1. Quelle: Wikipedia - Die freie Enzyklopädie, unter: "Nordeuropa" (abgerufen: 19. Februar 2020)
  2. Siehe z.B.: Anthony Harding, "Häuptlingstümer der Bronzezeit uhd das Ende der Steinzeit in Europa", in: Göran Burenhult et al. (Hrsg.), "People of the Stone Age. The Illustrated History of Humankind; dt.: Die Menschen der Steinzeit. Jäger, Sammler und frühe Bauern", Augsburg, 2000, S. 103-122
  3. Quelle: Günter Bischoff, "Klaus Goldmann – Erinnerungen an einen verdienstvollen Prähistoriker"
  4. Quelle: Gerhard Herm, "Die Kelten. Das Volk, das aus dem Dunkel kam", Düsseldorf (Econ) 1975 / Lizenzausgabe: Weltbild Verlag, 1991; zit. nach: Bernhard Beier, "Gerhard Herms nordeuropäisches Atlantis", Teil II, "Atlantis´ Glanz und Untergang", Februar 2010, bei Atlantisforschung.de
  5. Quelle: Günter Bischoff, "Klaus Goldmann – Erinnerungen an einen verdienstvollen Prähistoriker", Atlantisforschung.de, Januar 2020
  6. Siehe dazu z.B.: Christian Forberg, "Das Reich der Himmelsscheibe", 25.04.2019, bei deutschlandfunk.de (abgerufen: 20. Februar 2020)
  7. Anmerkung: Zu einem empfehlenswerten Buch, in dem ein 'Establishment'-Archäologe tatsächlich einschneidende Konsequenzen aus diesem Fund zieht, siehe: Harald Meller und Kai Michel, "Die Himmelsscheibe von Nebra - Der Schlüssel zu einer untergegangenen Kultur im Herzen Europas", Propyläen Verlag, 21.09.2018, Hardcover mit Schutzumschlag, 384 Seiten, ISBN-13 9783549076460
  8. Quelle: Berthold Seewald, "Fernhandel provozierte größte Schlacht der Bronzezeit", 28.11.2017, bei welt.de (abgerufen: 20. Februar 2020)
  9. Quelle: ebd. - Anmerkung: bei Berthold Seewald heißt es dazu: "Vermutlich trafen hier zwei uralte Fernhandelsstraßen aufeinander. Auf ihnen wurden Luxusgüter und strategische Waren wie Zinn, das für die Herstellung von Bronze benötigt wurde, über weite Strecken befördert. [...] Die Dimensionen dieses Fernhandels werden an der Tollense fassbar. Hier traf der Wasserweg über Peene und Tollense bis an die Havel nach Süden auf die Trasse, die von Osten nach Jütland und Niedersachsen verlief."
  10. Siehe dazu z.B.: Bernhard Beier, "Die end-bronzezeitliche Klimakatastrophe aus atlantologischer Sicht", Atlantisforschung.de, 2009
  11. Siehe: Bernhard Beier, "Jürgen Spanuth und die 'Große Wanderung' - Von der Nordsee ans Mittelmeer - Ein 'Protogermanen'-Sturm über Mittel- und Südeuropa?", Arlantisforschung.de, 2010
  12. Siehe: "Die 'Herzsprung-Schilde' & Atlantis - Ein etwas verspäteter Rückblick auf einen Vortrag von Günter Bischoff in Wittstock" (red)
  13. Quelle: Dr. Horst Friedrich, "Velikovsky, Spanuth und die "Seevölker"; Erstveröffentlichung in: Vorzeit-Frühzeit-Gegenwart - Interdisziplinäres Bulletin 1. Jahrgang 5. Heft 1989

Bild-Quellen:

1) Kolja21 (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Europe subregion map UN geoscheme.svg (Lizenz: Creative-Commons, „Namensnennung 3.0 nicht portiert“)
2) Wiglaf (Urheber) bei Wikimedia Commons, unter: File:Nordic Bronze Age.png
3) Gerhard Herm, Die Kelten - Das Volk, das aus dem Dunkel kam, Weltbild Verlag (Lizenzausgabe), 1991, S. 135
4) Gerhard Gadow, "Der Atlantis Streit - Zur meistdiskutierten Sage des Altertums", Fischer Taschenbuch Verlag, Juli 1973, S. 89