Klimatologie, Zivilisations-Geschichte und Atlantisforschung

Abb. 1 Wenn man die heutigen klimatischen Verhältnisse zugrunde legt, mag die Annahme präkolumbischer Atlantik-Fahrten unwahrscheinlich erscheinen. Vor dem Hintergrund paläo-klimatischer Forschung wird klar, dass solche Seereisen vor einigen tausend Jahren (während des sogenannten Sub-Boreals) sehr wohl möglich waren.

(red) Auch die Frage nach klimatischen Gegebenheiten und Veränderungen in mehr oder weniger ferner Vergangenheit spielt für Primhistorik (+1), Diffusionismus (+2) und für die nonkonformistische Atlantisforschung - also für das gesamte Feld alternativ-historischer Zivilisations-Geschichtsforschung -, eine wesentliche Rolle. Schließlich stellen die klimatischen Rahmenbedingungen einen entscheidenden Faktor bei der kulturellen und zivilisatorischen Entwicklung der Menschheit und für das Werden und Vergehen von Hochkulturen dar. (+3)

Gerade für die diffusionistische Zivilisations-Forschung mit ihrer Annahme interkontinentaler Kontakte primhistorischer bis frühgeschichtlicher Kulturen auf unserem Planeten ist die Frage nach dem damaligen Klima von zentraler Bedeutung. So lässt sich das Problem der Befahrbarkeit der Weltmeere mit vergleichsweise primitiven Mitteln (z.B. mit simplen Riet-Booten und Flößen) nicht losgelöst von der klimatologischen Problematik betrachten. (Zum Thema paläolithische Seefahrt auf dem Atlantik siehe z.B. Die Clovis-Solutréen-Connection von Peter Marsh)

Wenn man nämlich die h e u t i g e n klimatischen Verhältnisse zugrunde legt, mag die Annahme präkolumbischer Atlantik-Fahrten höchst unwahrscheinlich erscheinen. Vor dem Hintergrund (paläo-) klimatologischer Forschung wird klar, dass solche Seereisen, z.B. noch vor einigen tausend Jahren, zur Zeit des sogenannten Sub-Boreals, verhältnismäßig leicht durchführbar waren. Diese großräumige und langzeitige 'Schönwetter-Periode' ermöglichte nicht nur das Entstehen der ackerbauenden Megalith-Kulturen Europas, sondern schuf zudem auch die Grundlage für die Entwicklung maritimer Seefahrt auf dem Atlantik, wie sie von Diffusionisten und nonkonformistischen Atlantisforschern vorausgesetzt wird.

Der Atlantologe Prof. Helmut Tributsch, keineswegs ein Vertreter nonkonformistischer Ideen, bemerkte bereits 1986 zu den gravierenden klimatischen Veränderungen, denen Europa und der Atlantik-Raum während des Quintärs unterworfen waren: "Nach der Eiszeit entwickelte sich das Klima Westeuropas folgendermaßen: Von 9000-8500 v. Chr. an nahm die Kälte allmählich ab, so daß Moose, Flechten, Birken und schließlich Nadelbäume wachsen konnten (prä-boreale Periode). Von nun an bis ungefähr um 4000 v. Chr. (atlantische Periode) förderten hohe Temperaturen und starke Niederschläge überall dort das Wachstum dichten Baumbestandes, wo heute Moorland und Heide sich erstrecken. Gegen Ende dieser Periode erreichten das westliche Spanien und Portugal wie auch das westliche Frankreich einen Höhepunkt der Fruchtbarkeit. Hier nahm die atlantische Megalithkultur ihren Anfang.

Während der Folgezeit, zwischen 4000 und 1400 v. Chr., herrschte die sogenannte sub-boreale Periode. Damals blieb das Wetter warm und war mit Ausnahme einer feuchten Epoche um 2900 v. Chr. relativ trocken. Hochflächen im Nordwesten Europas konnten nach der Rodung als fruchtbares Ackerland Verwendung finden. In die ersten zwei Jahrtausende dieser Periode fallen die Ausbreitung der Megalithkultur und ihre eigentliche Blüte." Zu den klimatischen Charakteristika dieses Sub-Boreals gehörten, wie gesagt, auch die anhaltend milden und freundlichen Verhältnisse im atlantischen Raum, über die es bei Tributsch heißt: "Auf den Hebriden, auf den Landzungen der Bretagne und auf Jütland, wo heute niemand in einer luftigen Hütte neben den Megalithen leben möchte, waren die Lebensbedingungen damals ausgezeichnet. Was vor allem erstaunlich ist: Der Himmel war die meiste Zeit blau und der Atlantik mit einer ungewöhnlich glatten Oberfläche geradezu einladend für die Navigation." (+4)

Abb. 2 Die konventionelle Lehrmeinung der Anthropologen und Archäologen, die endglaziale Besiedlung Amerikas sei durch einen "eisfreien Korridor" im Norden erfolgt, wird von den Forschungsergebnissen der Paläo-Klimatiker vollständig ad absurdum geführt: im betreffenden Zeitraum existierte nämlich gar keine solche Passage!

Kein Wunder also, dass viele Atlantologen voraussetzen, es habe zu diesem Zeitpunkt (nach den Massen-Sterben und Umwälzungen des 'neolithischen Hiatus') eine Wiederentdeckung und Neubesiedlung der atlantischen Rest-Inselwelt sowie eine kontinuierliche Reisetätigkeit von europäischen Megalithikern nach Amerika begonnen, die sich durch zahlreiche "nonkonforme" Megalith-Fundstätten in Nordamerika belegen lässt (siehe dazu z.B.: Die 'Stehenden Steine' von Ost-Massachusetts und Die steinernen Rätsel von New England).

Auch in ihrer vehementen Ablehnung der sogenannten "Beringsstraßen- und Clovis-Paradigmata" zur Besiedlung Amerikas (vergl. dazu: Farewell, Clovis! Vom langsamen Sterben eines Paradigma) erfahren Alternativ-Historiker, Diffusionisten und Atlantologen unverhofft eine massive 'Schützenhilfe' durch die schulwissenschaftliche Paläo-Klimatologie. So bemerkt der US-amerikanische Nonkonformist Itzli Ehecatl nicht ohne Ironie: "Archäologen erzählen uns, dass es einen eisfreien Korridor gab, der sich nach der jüngsten Eiszeit um etwa 12 000 v.Chr. bildete. Geologen und Biologen haben substantielle Evidenzen zusammengetragen, die demonstrieren, dass, obwohl Beringia eisfrei gewesen sein mag, die Wetter-Bedingungen einer Migration von Megafauna oder Menschen nicht zuträglich waren. Und obenan, >… ist es nicht mehr als gerade einmal 8000 Jahre her, dass sich der eisfreie Korridor öffnete - 4000 Jahre zu spät, um dass Bering-Routen-Szenario funktionieren zu lassen<.” (+5)

Ehecatl stützt sich bei dieser Aussage u.a. auf die wissenschaftliche Forschung von Dr. Reid Bryson, einem Meteorologen an der University of Wisconsin, wozu er bemerkt: Bryson "führte seine Forschung unter Verwendung von Radiocarbon-Datierungen durch. Zudem hob er hervor, dass das ideal fruchtbare Tal, das Archäologen voraussetzen, selbst [für den Zeitraum] nach der Öffnung des Eis-Korridors ein reines Phanasie-Produkt sei. Stattdessen war Beringia mit >miserablen meteorologischen Bedingungen, niedrigeren Temperaturen und stärkeren Winden als jenen geprägt, wie man sie selbst auf der Oberfläche der Eisdecke vorfand.< Es überrascht nicht, dass Archäologen Bryson’s Studie ignoriert haben und es nicht einmal fertig brachten, seine Entdeckungen zu kommentieren. (Jeffrey Goodman, American Genesis [New York: Summit Books, 1981], 65)" (+6)

Einmal mehr zeigt sich, dass der anthropologische (+7) und archäologische Mainstream bisweilen von geradezu pathologischer Erkenntnis-Resistenz geprägt ist, wenn es um die Verteidigung unhaltbar gewordener, aber lieb gewonnener und verinnerlichter Paradigmen zur Erd-, Menschheits- und Zivilisationsgeschichte geht. Wer, diese Frage liegt auf der Hand, argumentiert hier nun eigentlich auf einer explizit wissenschaftlichen Basis, und wer betreibt praktizierte 'Pseudowissenschaft'? Die "spinnerten" Atlantisforscher, Primhistoriker und Diffusionisten, oder die "hochkarätigen" und angeblich "ernsthaften" Fachwissenschafter des Mainstreams?

Team Atlantisforschung.de


Beiträge zu diesem Thema

Abrupter Klimawechsel vor 11 000 Jahren (Andrew Collins)

Antarktischer Schlamm enthüllt alte Evidenzen für globale Klima-Veränderungen (Mark Shwartz)

Die end-bronzezeitliche Klimakatastrophe aus atlantologischer Sicht (bb)


Anmerkungen und Quellen

(+1) Anmerkung: PRIMHISTORIK = Die Primhistorik ist ein alternativ-historisches Forschungsgebiet, das sich mit der Möglichkeit entwickelter, späteiszeitlicher (oder noch früherer) Menschheitskulturen sowie mit der Beweisführung ihrer vormaligen Existenz und mit ihrer Identifizierung beschäftigt. Geprägt wurde dieser Begriff in den 1970er Jahren durch den französichen Alternativ-Historiker und Paläo-SETI-Forscher Robert Charroux. Im Bereich der nonkonformistischen Atlantisforschung sind primhistorische Betrachtungsweisen und Modelle heute bereits weitgehend quasi-paradigmatisch.

(+2) Anmerfung: Zum Diffusionismus als Kern-Theorem alternativer Vor- und Frühgeschichtsforschung siehe siehe die Rubrik Stichwort Diffusionismus samt Folge-Beiträgen.

(+3) Anmerkung: Vergl. dazu etwa: Die Proto-saharische Zivilisation von Dr. Clyde Ahmad Winters sowie Brasilien - Wiege der amerikanischen Zivilisationen? von Bernhard Beier und Prädiluviale Spuren in Brasilien von Alexander Braghine

(+4) Quelle: H. Tributsch, "Die gläsernen Türme von Atlantis", Ullstein, 1986, S. 159; siehe dazu auch: Atlantis in der Bretagne - Betrachtungen zur Theorie des Helmut Tributsch

(+5) Quelle: Itztli Ehecatl, "The Bering Strait Theory", 2002, online bei ANGELFIRE unter http://www.angelfire.com/space/itztli2 ; bei atlantisforschung.de in deutschsprachiger Erst-Veröffentlichung unter dem Titel Beringstraßen-Theorie und indianische Überlieferungen

(+6) Quelle: ebd.

(+7) Anmerkung: Zur Kontroverse zwischen konformistischer Mainstream-Anthropologie und Alternativ-Historik siehe Anthropologie und Atlantisforschung


Bild-Quellen

(1) http://www.eclipse.net/~caveart/_borders/AtlanticStorm.jpg

(2) http://www.uwgb.edu/dutchs/GRAPHIC0/GEOMORPH/HumanAmerica.gif