Atlantisbericht

Version vom 29. Mai 2019, 23:44 Uhr von BB (Diskussion | Beiträge)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)

Definition

(red) Der Atlantisbericht (auch: die Atlantida) des hellenischen Staatsphilosophen Platon stellt die zentrale Informationsquelle der Atlantisforschung (Atlantologie) dar. Die, ein legendäres, auf einer als 'Atlantis' bezeichneten Großinsel beheimatetes, Urzeit-Reich betreffenden Informationen finden sich in zwei Dialogen aus Platons Spätwerk, nämlich, nach der Stephanus-Paginierung:

* Timaios (19b-27)

* Kritias (108d-121c)


Zusammenfassung der Angaben im Timaios

Abb. 1 Platons verehrter Lehrer Sokrates ist einer der fiktiven Gesprächs-Teilnehmer im 'Timaios'.

Die literarische Figur des Kritias (Abb. 3) berichtet dort dessen fiktionalen Gesprächspartnern Timaios, Hermokrates und Sokrates unter Berufung auf Solon "eine zwar seltsame, aber durchaus in allem wahre Geschichte" (20d) über Heldentaten der urtümlichen Athener, welche aber "durch die Zeit und das Dahinsterben der Menschen in Vergessenheit geaten seien" (20e). Diese "alte Geschichte" ("palaidòn logon"; 21a), die Solon bei seiner Ägyptenreise in Saïs von einem Priester der Göttin Neith (dort gleichgesetzt mit Athene) erzählt worden sein soll (21e-22a).

Solon habe dort von den "ältesten Geschichten" (22a) aus dem Sagenschatz der Athener berichtet, woraufhin ihm ein alter Priester amüsiert eine 'Vorlesung' in Sachen Ur- und Zivilisationsgeschichte hielt. Er erklärt ihm, die Vorfahren der Athener und anderer Völker verfügten nicht über wirklich alte Überlieferungen, da ihre Vorfahren durch zyklisch-kataklysmische Ereignisse ("mannigfache Heimsuchungen [...], die größten durch Feuer und Wasser, andere geringere durch tausend andere Ursachen") immer wieder ins Stadium der Barbarei zurückgeworfen worden seinen.

Die Ursachen dieser, "nach Ablauf der gewöhnlichen Frist" eintretenden, Groß-Katastrophen seien auf astronomisch erklärbare Ursachen ("Abweichung der am Himmel befindlichen Gestirne") zurückzuführen. Aufgrund seiner geographischen Lage sei Ägypten bzw. seinen Bewohnern dieses Schicksal erspart geblieben. Die Athener aber hätten sogar vergessen, dass "der Staat, der jetzt der athenische heißt, der tüchtigste im Krieg" war; und "sich in jeder Beziehung durch eine gute gesetzliche Verfassung vor allen ausgezeichnet" habe. (22c-23c)

Auf Solons Drängen hin berichtet der Priester weiter, sowohl der saïtische Gau Ägyptens als auch Athen seien Domänen der Göttin Neith/Athene, welche sie "gedeihen ließ und heranbildete" (23d). Wie er erklärt, sei das Land der Athener 1000 Jahre früher als das der Ägypter von der Göttin kultiviert worden. "Die Zahl der Jahre aber seit der Einrichtung [des ägyptischen] Staates ist bei uns in den heiligen Schriften mit achttausend Jahren angegeben." (23e) Der Staat der 'Ur-Athener' soll bereits "vor neuntausend Jahren" (ebd.) existiert haben. Die Gesellschaft dieses urtümlichen Athens soll ständisch organisiert gewesen sein.

Es habe dort Priester, Krieger, Handwerker sowie Hirten, Bauern und Jäger gegeben, wobei Priester und Krieger als oberste Stände abgesondert von der übrigen Bevölkerung lebten. (24a-24b). Unter einer "noch vollkommneren Verfassung" (24d) als jener der Ägypter lebend, hätten die sich Athener "in jeder Tugend vor allen anderen Menschen ausgezeichnet"

Abb. 2 Reste der alten Hauptstraße des antiken Lokroi, der Heimat des Timaios, dem dieser Dialog des Platon seinen Namen verdankt.

Besondere Hochachtung hätten sie sich in ihrem "Heldenmut" jedoch dadurch, dass sie einer gewaltigen "Heeresmacht" Einhalt geboten hätten, "welche im Atlantischen Meere ihren Ausgangspunkt hatte und von außenher übermütig gegen ganz Europa und Asien [1] heranzog. Damals war jenes Meer nämlich noch schiffbar, denn vor dem Eingang, der, wie ihr sagt, die Säulen des Herakles heißt, befand sich eine Insel, größer als Asien und Libyen zusammengenommen, von welchen den damals Reisenden der Übergang zu anderen Inseln und dem ganzen gegenüberliegenden Festland, an jenem wahren Meer, möglich war.

Denn das Gebiet hier, welches innerhalb jenes Eingangs, von dem wir sprechen, liegt, erscheint nur als eine Bucht mit einer schmalen Einfahrt. Jenes aber muß wirklich als Meer und das es umgebende Land mit vollstem Recht als Festland bezeichnet werden." (24c-25b)

Auf der in diesem Meer gelegenen Insel Atlantis (Átlantìs nē̂sos [2] = "im Meer des Atlas gelegene Insel") war eine "große und bewunderungswürdige Macht von Königen" entstanden, welche nicht nur über diese Insel, sondern auch über "viele andere Inseln und Teile des Festlandes. Außerdem beherrschten diese Könige noch von den Ländern am Binnenmeer Libyen bis nach Ägypten und Europa bis nach Tyrrhenien." (25b)

Wie aus dem Bericht des Neith-Priesters weiter hervorgeht, sollen die Könige des Atlanter-Reichs schließlich den Versuch unternommen haben, auch das Land der Griechen, Ägypten "sowie überhaupt alles Land innerhalb der Meerenge durch einen einzigen Kriegszug in ihre Gewalt zu bringen." (25b)

Bei der Abwehr dieses Angriffs hätten die Athener Truppen die Führung übernommen und auch nach dem Abfall ihrer - namentlich nicht genannten - Alliierten heldenhaft weitergekämpft, obwohl sie "in äußerste Bedrängnis" gerieten, um schließlich die Atlantier zu besiegen und "ein Siegeszeichen" zu errichten. Somit hätten sie verhindert, dass weitere Völker von den Angreifern unterworfen wurden, und " uns übrigen aber, die wir innerhalb der Säulen des Herakles wohnten", halfen die Athener "großzügig zur Befreiung." (25b-25c)

"Später aber brach dann eine Zeit gewaltiger Erdbeben und Meeresüberschwemmungen herein, und es kamen EIN Tag und EINE Nacht, in der die Masse eurer [der Athener] Krieger von der Erde verschlungen wurde, ebenso versank die Insel Atlantis im Meer und wurde den Augen entzogen; daher ist das Meer dort auch heute noch (kai nyn) unzugänglich und unerforschbar wegen des sehr seicht liegenden Schlammes (pelou kárta brachéos empodon óntos), den die untergehende Insel zurückließ." (25c-25d)


Zusammenfassung der Angaben im Kritias

Abb. 3 Der Staatsmann, Philosoph und Dichter Kritias (Bild) war ein Cousin von Platons Mutter.

Die literarische Figur des Kritias (Abb. 3) greift hier in ihrem Gespräch mit Sokrates Timaios von Lokri und Hermokrates in Form eines längeren Monologs den Bericht des ägyptischen Neith-Priesters wieder auf. Dabei rekapituliert Kritias zunächst (108d) die chronologischen Angabe, "daß zusammengenommen neuntausend Jahre vergangen sind, seitdem, wie berichtet wurde, der Krieg zwischen den außerhalb der Säulen des Herakles (tois th´ hypèr Herakleias stéles éxo katoikousin) und den innerhalb derselben Wohnenden stattfand..."

Als erstes (109b-109c) weist er - ohne nähere Zeitangaben - darauf hin, dass die Götter einst die Länder der Welt einvernehmlich durch Verlosung untereinander aufgeteilt hätten, wobei Athene und Hepheistos Athen "als gemeinsamen Anteil" erhalten und der Stadt eine "verfassungsmäßige Ordnung nach ihrem Sinn" gegeben hätten.

Platon gibt nun an, von den den "ureingeborenen Männern" aus jener Zeit seien nur noch die Namen bekannt, "ihre Taten aber verschwanden durch die wiederholte Vernichtung derjenigen, die die Kunde übernommen hatten, und durch die Länge der Zeit aus dem Bewußtsein." (109d) Es folgt eine Beschreibung der kulturellen Regression infolge kataklysmischer Ereignisse (109e-110a), gefolgt von einer der Beteuerungen Platons zur Historizität der Atlantida: "Für das, was ich sage, führe ich als Beweis an, daß Solon berichtete, jene Priester haben die Namen des Kekrops, Erechtheus, Erichthonios, Erysichthon und die meisten anderen, was da an Namen vor Theseus erwähnt wird, häufig, indem sie von dem damals geführten Krieg erzählten, erwähnt, sowie desgleichen die der Frauen..." (110b)

Anschließend (110d-112e) folgt eine ausführliche Beschreibung Ur-Athens und der dortigen Lebensverhältnisse, welche auch eine Darstellung der Auswirkungen jener Katastrophen beinhaltet, die aus dem einstmals fruchtbaren Griechenland, das Platon dort beschreibt, die vergleichsweise karge Gegend gemacht haben, die es bereits in der Antike war.

Danach (Ende 112e/113a) beginnt Platons Beschreibung der "damaligen Gegner" Ur-Athens, wobei er eine kurze Erklärung vorausschickt: "damit ihr euch nicht wundert, wenn Barbaren Hellenische Namen führen. [...] Da nämlich Solon die Absicht hatte, diese Erzählung für eine eigene Dichtung zu benutzen, forschte er nach der Bedeutung der Namen und fand, daß jene Ägypter, welche sie als erste aufzeichneten, dieselben in ihre eigene Sprache übersetzt hatten. Er (Solon) erwog nun seinerseits den Sinn jedes Namens noch einmal und übersetzte ihn in unsere Sprache und schrieb ihn so nieder. Diese Aufzeichnungen befanden sich bei meinem Großvater und befinden sich jetzt noch bei mir und sind von mir schon als Knabe gründlich studiert worden."

Abb. 4 Eine Skizze der Metropolis von Atlantis mit ihrer charakteristischen Ringstruktur. In der Mitte die 'Basileia' (Königsinsel)

Die nachfolgende Beschreibung von Atlantis lässt sich folgendermaßen aufgliedern: Zunächst (113c-114d) wird der Gründungs-Mythos des Inselreiches nacherzählt, in welchem das Geschlecht der Könige von Atlantis auf die Söhne (fünf Zwillingspaare) zurückgeführt wird, die der Gott Poseidon mit der Sterblichen Kleito gezeugt habe. Auch die charakteristische, dreifach gestaffelte Ring-Struktur (Abb. 4) der Metropolis sei auf das Wirken des Gottes zurückzuführen, wie es dort heißt. Dem schließt sich eine quasi naturkundliche Betrachtung von Atlantis an (114e-115b), in der die üppige und z.T. exotische Fauna und Flora der 'heiligen Insel' (nesos hierà; 115b) beschrieben wird, wobei Platon die Opulenz der dortigen Natur betont. [3]

Es folgt (115d-117e) eine Beschreibung der Entwicklung bzw. Ausgestaltung der atlantidischen Metropolis durch ihre Bewohner. Platon stellt 'Atlantis City' [4] quasi als historisch gewachsene Stadt dar, die über einen langen Zeitraum hinweg nach und nach immer weiter ausgebaut worden sei, wobei er sie eindeutig sowohl als religiöses Zentrum als auch als, quasi 'internationales', maritimes Handelszentrum darstellt. Die "Seezufahrt und der größte Hafen wimmelte von Schiffen und Kaufleuten, die von allen Orten dort zusammenströmten und durch ihr massenhaftes Auftreten bei Tage und bei Nacht Geschrei, Getümmel und Lärm mannigfacher Art verursachten." (117e)

Was nun folgt (118a-119a), ist eine erdkundlich-topographische Beschreibung des übrigen Landes auf der Insel "nach seiner natürlichen Beschaffenheit" und eine Beschreibung des komplexen, künstlichen Kanalsystems sowie, daran anschließend, eine Darlegung der "Art der Verwaltung" seiner Bewohner. An der Küste vor der Stadt "lag nach dem Bericht ein Felsen, der sehr hoch und wie mit dem Messer abgeschnitten (sphódra te hypselòs kaí apótomos ek thaláttes) aus dem Meere aufstieg. Die Umgebung der Stadt hingegen war durchweg eben (pãn pedíon). Diese die Stadt umgebende Ebene war von Erhebungen umgeben, die sich am Meer entlang hinzogen.

Die Ebene war glatt und flach und als Ganzes ein längliches Dreieck, nach der einen Seite dreitausend Stadien [Attisches Stadion = 177,6 m; d. Red.] lang, in der Mitte vom Meer aus 2000 Stadien breit. Das ganze Gebiet der Insel lag zum Südwind gewandt und vom Sternbild des Bären abgewandt, geschützt vor dem Nordwind. Von den diese Ebene umgebenden Bergen wurde damals gerühmt, daß sie an Zahl, Größe und Schönheit alle jetzt vorhandenen übertroffen hätten. [5] [...] Folgendermaßen war nun die Ebene von Natur aus und durch die Arbeit vieler Könige in langer Zeit beschaffen. Sie bildete Größtenteils ein rechtwinkliges und längliches Viereck (Abb. 5), wo es aber daran fehlte, hatten sie es durch einen ausgehobenen Graben ringsherum gerade gerichtet. Was die Tiefe und Breite desselben betrifft, so klingt das bei einem Werk von Menschenhand unglaublich [...] Ein Plethron tief soll er gegraben gewesen sein, und überall ein Stadion breit, um die ganze Ebene herum beträgt das eine Länge von zehntausend Stadien.

Abb. 5 Die große Ebene von Atlantis nach Nikolai Zhirov.

Er nahm die von den Bergen herabströmenden Flüsse auf, bildete um die Ebene einen geschlossenen Ring und erreichte die Stadt von beiden Seiten, dort ließ er sie (die Flüsse) zum Meer abfließen. Von seinem oberen Teil wurden nämlich geradlinige Kanäle meist hundert Fuß breit in die Ebene geführt, welche wieder in den vom Meer aus gezogenen Kanal einmündeten und zwar jeder dieser Kanäle hundert Stadien von dem anderen entfernt." (118a-118d)

Zur Bevölkerung und der Verwaltungsstruktur führt Platon im Kritias (118e-119a) aus: "Was aber die Zahl der Bewohner anlangt, so bestand die Anordnung, daß jeder Distrikt in der Ebene aus der kriegstüchtigen männlichen Bevölkerung einen Anführer stellen sollte, die größe eines Distriktes aber betrug hundert Landlose. Die Gesamtzahl aller dieser Distrikte aber betrug 60 000. Auf den Bergen und im übrigen Lande gab es, wie erzählt wurde, eine große Menschenmenge. Alle aber waren nach Ortschaften und Flecken einem dieser Distrikte und dem betreffenden Anführer zugewiesen." (118e-119a)

Hier beginnt Platon, für den eine Trennung ziviler und militärischer Verhältnisse eines Staates im heutigen Sinne nicht existierte, übergangslos mit einer kurzen Beschreibung der Streitkräfte von Atlantis (119a-119b), die wir an anderer Stelle abhandeln. Danach berichtet er, was ihm durch seinen Informationsgeber Solon (Abb. 6) über die Regierungsform und die Machtverteilung im Reich von Atlantis überliefert wurde: "Von den zehn Königen ["Archonten"; d. Red.] war ein jeder in seinem Gebiet mit dem Wohnsitz in seiner eigenen Stadt Herr über die Bewohner und über die meisten Gesetze, so daß er strafen und hinrichten konnte, wen er wollte.

Abb. 6 Solon, der Informations-Geber für Platons Atlantisbericht

Die Herrschaft und Gemeinschaft (archè kaí koinonía) unter ihnen wurde aufrecht erhalten nach den Anordnungen des Poseidon, wie sie ihnen das Gesetz und die Inschriften überlieferten, die von den Urvätern auf einer Säule aus Oreichalkos eingegraben waren; sie stand in der Mitte der Insel im Heiligtum des Poseidon. Dort versammelten sich abwechselnd bald jedes fünfte, bald jedes sechste Jahr, um die ungerade Zahl nicht vor der geraden zu bevorzugen, und berieten hier in persönlicher Berührung über die gemeinsamen Angelegenheiten, untersuchten ferner, ob sich einer von ihnen einer Übertretung schuldig gemacht hätte, und saßen darüber zu Gericht. Waren sie aber im Begriff ein Urteil zu fällen, so gaben sie sich einander folgendes Unterpfand.

In dem heiligen Bezirk trieben sich der Gottheit geweihte Stiere herum. Nun veranstalteten sie, die Zehn allein bleibend, nach einem Gebet zu [dem] Gott, sie möchten ein ihm genehmes Opfer ergreifen, ohne Eisengerät, nur mit Stricken und Holzknüppeln, eine Jagd. Denjenigen von den Stieren, die sie fingen, schafften sie auf die Säule hinauf und schlachteten ihn auf der Höhe derselben (katà koryphèn autes), so daß das Blut auf die Inschrift hinunterfloß. Auf der Säule aber befand sich außer den Gesetzen auch noch eine Eidesformel, die schwere Verwünschungen über die Ungehorsamen herabrief. [...]

Es gab noch mancherlei andere Gesetze über die Ehrenrechte der einzelnen Könige, die wichtigste Bestimmung aber war, daß sie niemals gegeneinander die Waffen erheben dürften und alle Beistand zu leisten hätten, wollte jemand versuchen, in einem der Staaten das Königsgeschlecht zu vernichten; dabei sollten sie gemeinsam, wie die Vorfahren, über Krieg und sonstige Unternehmungen beraten und die Oberleitung dem Geschlecht des Atlas überlassen; doch sollte der König nicht das Recht haben, einen seiner Verwandten zum Tode zu verurteilen, wenn nicht mindestens sechs von den Zehn ihre Zustimmung gäben." (119c-120d)

Abb. 7 Zeus beschloss, die Atlanter wegen ihrer Übeltaten zu bestrafen. Diese Strafe aber war der Krieg gegen die Athener, und nicht ihre erst später erfolgte Vernichtung!

Ebenfalls umfänglich zitiert werden soll hier auch Platons, nun folgende, Beschreibung der atlantidischen 'Zivilisationsgeschichte', die er vor allem unter ethischen [6] Gesichtspunkten und vor dem Hintergrund seines zyklischen Bildes der Menschheitsentwicklung vornimmt. Dabei geht es ihm vordringlich darum, die Ursachen für den Krieg der Atlanter gegen die Ur-Athener und ihre Alliierten darzustellen: "Viele Menschenalter hindurch, solange die Natur des Gottes in ihnen stark genug war, blieben sie den Gesetzen gehorsam und verleugneten nicht die Verwandtschaft mit der Gottheit. Denn ihre Sinnesweise war von hoher Art, wahrhaftig und durchaus großherzig (pánte megála, wörtlich: in allem groß); etwaigen Schicksalsschlägen gegenüber sowie im Verkehr miteinander zeigten sie sich gelassen und zugleich einsichtsvoll; in ihren Augen hatte nur die Tugend wahren Wert; darum achteten sie die vorhandenen Glücksgüter gering und machten sich nichts aus der Masse des Goldes und des übrigen Besitzes, die ihnen eher wie eine Bürde erschienen.

Sie waren weit davon entfernt, trunken von dem Schwelgen in ihrem Reichtum zu werden, und ihrer selbst nicht mächtig, zu Fall zu kommen; sie erkannten nüchternen Sinnes in voller Klarheit, daß diese äußeren Güter nur durch Tugend und Freundesgemeinschaft gedeihen können, dagegen aber dahinschwinden, wenn alle Sorge und alle Wertschätzung eben nur ihnen (den äußeren Gütern) zugewendet ist, dann werde nämlich auch die Tugend mit in den Abgrund gerissen. Infolge dieser Denkungsart und des fortwährenden Einflusses der göttlichen Natur gedieh ihnen alles, dessen wir vorher gedacht haben.

Als aber, was Göttliches in ihnen war, durch starke und häufige Vermischung mit Sterblichem mehr und mehr dahinschwand, und menschliche Sinnesart die Oberhand bekam, da erzeigten sie sich unfähig, sich mit dem Vorhandenen richtig abzufinden, sie schlugen aus der Art und erniedrigten sich in den Augen der Urteilsfähigen dadurch, daß sie das Schönste von allem Wertvollen zugrunde richteten, während sie den Urteilslosen, die kein Auge für den Wert eines auf wahrhafte Glückseligkeit gerichteten Lebens haben, nunmehr erst recht herrlich und rühmenswert erschienen." (120e-121b)

In dieser Entwicklung liegt nach Platon letztlich die Ursache des Untergangs von Atlantis begründet, wobei sein Bericht auch in dieser Hinsicht rätselhaft bleibt: "Aber der Gott der Götter, Zeus, der nach Gesetzen regiert und einen scharfen Blick für dergleichen hat, beschloß, da er ein großes Geschlecht in so beklagenswerten Zustand versetzt sah, sie durch eine Strafe zu züchtigen, auf daß sie dadurch zur Besinnung gebracht und gebessert würden. So berief er denn alle Götter in ihren ehrwürdigsten Wohnsitz, der, in der Mitte der Welt gelegen, den Blick über alles gewährt, was des Werdens teilhaftig geworden, und richtete an die Versammelten folgende Worte..." (121b-121c)

"Hier bricht", wie es bei Jürgen Spanuth heißt, "der Dialog Kritias ab", wobei er hinzufügt: "Antiken Überlieferungen zufolge soll der Tod den Platon gehindert haben, sein Werk zu vollenden." [7] Leider versäumt er es, diese Überlieferungen quellenmäßig zu belegen, aber auch ohne dies erscheint es aus atlantologischem Blickwinkel zulässig - oder sogar naheliegend - sich seiner Sicht anzuschließen und die alternative Mehrheits-Annahmen moderner Altphilologen zurückzuweisen, Platon habe a) die Arbeit am Atlantisbericht (bzw. am Kritias) bewusst abgebrochen [8], und b) sei nicht der Kritias, sondern der Nomoi als letztes Werk des Athener Staatsphilosophen anzusehen (beide Dialoge wurden nach heutigem Erkenntnisstand erst nach seinem Ableben veröffentlicht). [9]


Anmerkungen und Quellen

Die in diesem Beitrag verwendeten Zitate aus den Dialogen Timaios und Kritias wurden der Übersetzung der platonischen Texte aus dem Altgriechischen von Jürgen Spanuth entnommen. Aus: J. Spanuth, "Die Atlanter - Volk aus dem Bernsteinland", Tübingen 1990, S. 445-474. Von ihm stammen auch die in den Text eingebetteten Anmerkungen in runden Klammern.

Fußnoten:

  1. Anmerkung: Unter 'Asien' verstand man damals das heutige Kleinasien; d. Red.
  2. Red. Anmerkung: Da wir feststellen mussten, dass es bei einigen Browsern offenbar zu technischen Problemen bei der Darstellung des Wortes kommt, bilden wir es hier noch einmal als Graphik ab: Nesos.jpg
  3. Anmerkung: In dieser Sequenz der Atlantida im Kritias erwähnt Platon erstmalig auch den mysteriösen 'Oreichalkos', jene Substanz, die, wie er festhält, "heute nur noch dem Namen nach bekannt ist", die "aber bei den damaligen Menschen neben dem Gold am höchsten geschätzt wurde". Dieser Stoff wurde, wie Platon zudem erklärt, "damals an vielen Stellen der Insel aus der Erde gegraben". (114e)
  4. Einen Eigennamen der Atlantier-Metropolis, die er schlicht als "Stadt" bezeichnet ("ásty"; Krit. 117e), hat Platon nicht überliefert. Kunstnamen wie "Poseidonis" und "Poseidonia" sind moderne Erfindungen.
  5. Anmerkung: Es stellt sich hier natürlich die Frage, wann "damals" gewesen sein soll. Zu Solons Zeiten? Die Epoche der Atlanter - wann auch immer sie gewesen sein mag - kann jedenfalls nicht gemeint sein, weil dies den Gesetzen der Logik widersprechen würde!
  6. Vergl. dazu bei Atlantisforschung.de auch: "Platons Philosophie" (red)
  7. Quelle: Jürgen Spanuth, "Die Atlanter - Volk aus dem Bernsteinland", Tübingen 1990S. 474
  8. Anmerkung: So etwa Wilhelm Brandenstein (1898-1967), der, wie es Thorwald C. Franke formuliert, davon ausging, "dass Platon vielmehr zum Opfer eines unpassenden Stoffes geworden sei. Deshalb habe Platon seinen Kritias auch nicht vollendet, da die Unstimmigkeiten zwischen dem vorliegenden historischen Stoff und seiner Beweisführungsabsicht unüberbrückbar geworden seien." (Quelle: Thorwald C. Franke, "Ein Wissenschaftler pro Atlantis - Prof. Dr. Wilhelm Brandenstein und sein Beitrag zur Atlantis-Forschung", bei Mysteria 3000
  9. Vergl. dazu bei Atlantisforschung.de: "Platons Werke" (red); sowie vor allem den Beitrag "Nomoi" (bb).

Bild-Quellen:

1) Wikimedia Commons, unter: File:Socrates Massimo Inv1236.jpg
2) Wikimedia Commons, unter: File:Locri-strada.jpg
3) Kritias aus Athen (? - 403 v. Chr.), bei: philos-website.de (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)
4) Günter Bischoff, Atlantis – die Enträtselung im 20. Jahrhundert (Veröffentlicht in EFODON-SYNESIS Nr. 3/2005) - (Bildbearbeitung durch Atlantisforschung.de)
5) Dr. Nikolai Zhirov, "Atlantis - Atlantology: Basic Problems", Moskau, 1969/1970; bearb. nach: Mysterious World, unter: The Legend of Atlantis, Part IV: Atlantis Rising
6) Phil Norfleet, "The Golden Chain of Platonic Succession"; unter: Seven Sages of Ancient Greece
7) Jim Allen, Historic Atlantis in Bolivia, Part III