Tributschs Atlantida-Exegese

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Zu Beginn seiner Betrachtungen über Platon als Autor und die Entstehungsbedingungen der Atlantis-Dialoge bringt Tributsch einen kurzen Rückblick zur Entstehungsgeschichte des Atlan-tisberichts: "In seinem bekannten Dialog 'Politeia' (Der Staat) hatte er seine Vorstellungen vom idealen Staat [...] zum Ausdruck gebracht. Nun plante er eine Fortsetzung dieser Ideen, die er im Timaios niederschreiben wollte. Hier bot sich die Gelegenheit, das Thema Atlantis aufzugreifen.[...] Timaios sollte, zusammen mit den beiden darauffolgenden Kritias und Nomoi (Die Gesetze) eine Trilogie werden, ein dreiteiliges Werk. Leider wurde es nur bruchstückweise vollendet. Im Timaios sollte Platons Verwandter Timaios Ideen über die Entstehung der Welt und die Natur des Menschen vortragen.[...] Kritias sollte dann über den Krieg zwischen den Vorfahren der Griechen und Atlantis berichten. Hermokrates war als dritter Redner vorgesehen." (+3)


Abb. 2 Der Eingang zum Cairn von Gavrinis - das Tor nach Atlantis?

Die Zeitangaben Platons für den Untergang von Atlantis (ca. 9600 BP) betrachtet Tributsch, vergleichbar mit den Jungzeitlern unter den Atlantologen, schlichtweg als "ein Mißver-ständnis": "Über eine solche Zeitspanne hinweg können natürlich keinerlei Überlieferungen erhalten sein, ganz zu schweigen davon, daß damals weder Hochkulturen noch eine Schrift existiert haben und die Menschen noch als Nomaden durch das Land zogen." (+4) Auch sein Urteil über die Vertreter anderer Betrachtungsweisen fällt eindeutig aus: "Wer diesen Zeit-punkt von 9600 v. Chr. ernst nimmt, was viele Atlantisforscher getan haben, ist dazu verur-teilt, eine Phantasiewelt aufzubauen, die sich weder auf archäologische noch auf gesicherte kulturelle Fakten stützen kann." (+5)

Da Tributsch als Grundlage seiner eigenen Theorie auch die Authentizität des platonischen At-lantisberichts beweisen muss, steht er zunächst vor der Aufgabe, das Datierungs-Problem zu-friedenstellend aufzulösen, mit dem er sich durch Platons Zeitangaben konfrontiert sieht: "Wir haben uns dieser Aufgabe gestellt und glauben, den Widerspruch gelöst zu haben. Der Angel-punkt liegt hierbei in den historischen Angaben, die der griechische Schriftsteller Herodot an-läßlich seiner Ägyptenreise aufzeichnete. Um 450 v. Chr., also eineinhalb Jahrhunderte nach der Reise Solons ins Pharaonenland und ungefähr zu Lebzeiten Platons, der die Atlantissage überlieferte, beschäftigt Herodot sich nämlich mit dem Ursprung Ägyptens. Wie seinerzeit So-lon bezog Herodot seine Informationen nach eigenen Angaben ebenfalls von den ägyptischen Priestern im Nildelta. Im zweiten Buch seiner 'Historien' schreibt er:

>Bis zu diesem Punkt habe ich mich auf die Berichte verlassen, welche mir von den Ägyptern und ihren Priestern übermittelt worden sind. Sie erklären, daß den ersten König von Ägypten von dem letzten, den ich erwähnt habe - dem Priester von Hephaestus – dreihundertundein-undvierzig Generationen trennen, und daß es für jede Generation einen König und einen Hohe-priester gab. Wenn man nun für drei Generationen hundert Jahre nimmt, machen dreihundert Generationen zehntausend Jahre und die restlichen einundvierzig Generationen machen zu-sätzlich 1340 Jahre; somit bekommt man insgesamt 11340 Jahre.<" (+6) Dieser antiken Herodot-Chronologie mittels Pharaonen-Listen läßt Tributsch nun eine lang-atmige und unnötig kompliziert formulierte Argumentation folgen, die hier unmöglich wieder-zugeben ist. Letztlich wirft er Herodot und - analog dazu - Solon einen Umrechnungsfehler, mithin ein "Versehen", vor, welches er "unter Zuhilfenahme moderner Ergebnisse der Ägyptenforschung", so auflöst, dass aus seiner Sicht alles zusammenpasst.


Abb. 3 Lassen sich die Angaben in Platons Bericht mit Professor Tributschs Megalith-Theorem in Verbindung bringen?

Mit dieser Argumentation meint Tributsch, das Problem der chronologischen Inkompatibilität des Platonischen Atlantisberichts zu den Vorstellungen heutiger Historiker gelöst zu haben. Eine derartige Chonologie-Revision mittels "Verwechslungstheorien" bezüglich des multiplen altägyptischen Kalendariums ist keineswegs neu (und sie war es auch 1985 nicht, als das Buch erschien), sondern sie stellt lediglich seine individuelle Variation altbekannter Standard-Vor-gehensweisen aller "schulwissenschaftlich" orientierten Atlantisforscher dar, die wir hier nicht weiter zu besprechen brauchen. (Mehr dazu bei atlantisforschung.de unter Atlantida-Exege-se). Es möge als Hinweis genügen, dass bereits Diodorus Siculus in diesem Zusammenhang eine Verwechslung ägyptischer Sonnen- u. Mondjahre vermutet hat.

Tributschs Atlantida-Exegese hat im Detail aber auch Interessantes zu bieten. So arbeitet der Forscher etwa in vorbildlicher Weise einige wesentliche, Platons Lebenslauf und die Entste-hungsgeschichte seines Spätwerks betreffende, Punkte heraus, deren Kenntnis für eine stim-mige Interpretation der Atlantida zwingend notwendig sind. So bemerkt er beispielsweise: "Um das Jahr 355 v. Chr. stand Platon bereits im achten Jahrzehnt seines Lebens. [...] Platon war ein alter Mann geworden, aber noch hatte er nicht alles verraten, was er wußte. So begann er niederzuschreiben, was ihm mehr Ruhm einbringen sollte als alle übrigen Schriften. [...] Der griechische Philosoph wählte die Form des Gesprächs für sein Wissen, das der Nachwelt also in Dialogen erhalten ist. [...] (+7) Tributsch tritt nun dem Mythos entgegen, Platons Atlantisbericht sei von seinem Autor tat-sächlich beendet worden, nach seinem Tode jedoch aus ideologischen (politischen oder religiö-sen) Gründen gezielt 'verstümmelt' und zensiert worden, indem ein wesentlicher Teil des Ma-nuskripts im nachhinein vernichtet wurde. Ohne sich explizit von solchen, rein spekulativen, Verschwörungstheorien zu distanzieren, hält er eine Erklärung für das Fehlen des 'Finales' der Atlantida bereit, die sich stimmig aus Vita und Lebenssituation des greisen Philosophen heraus ableiten und belegen läßt:


Abb. 4 Warum wurde der Atlantisbericht nicht vollständig überliefert? Prof. Tributschs diesbezügliche Erklärung ist stringent und überzeugend.

"Platon beendete dieses für uns so spannende Gespräch über Atlantis nicht. Er versuchte, den Faden dieser Erzählung im nächsten Dialog Kritias weiterzuspinnen. Wie ein Dramatiker, der für die Geschichte seines Helden nicht den richtigen Rahmen gefunden hat, brach er dann aber plötzlich ab. Er schrieb offenbar am letzten Dialog, Nomoi, weiter und starb, bevor die rest-lichen Bruchstücke der Geschichte von Atlantis für die Nachwelt an Land gezogen werden konnten." (+8)

Auch mit dem häufig bestrittenen Wahrheitsgehalt der Atlantida, also mit der Frage, ob Pla-tons Erzählung einen - tendentiell - fiktionalen oder historischen Charakter aufweist, beschäf-tigt sich Tributsch eingehend in einem kompletten Kapitel ("DICHTUNG ODER WAHRHEIT?") seines Buches, in dem er u.a. auch interessante Zitate aus der klassischen Literatur (darunter Aussagen von Proklos, Diodorus Siculus (+9) und Aelian) präsentiert. Bei letzterem (er lebte ca. 200 n. Chr.) lassen sich beispielsweise weitere Details über Atlantis finden, die uns Platon vorenthält: "Er berichtet, daß die alten Könige von Atlantis, welche vom Meeresgott Poseidon abstammten (nach Überlieferungen von Bewohnern der Ozeanküste), als Zeichen der Würde Kopfbänder aus der Haut von Seewiddern trugen. Die Königinnen trugen ihrerseits Stirnbänder von weiblichen Seewiddern. " (+10)

Zusammenfassend müssen wir allerdings feststellen, dass Tributschs Atlantida-Exegese – ob-wohl sie einige wertvolle Hinweise zu Platons Vita und zur Interpretatiion der Timaios- und Kritias-Dialoge enthält - insgesamt verengt und auf die Stützung seines Gavrinis-Lokalisierung zurechtgeschnitten ist. Trotz ihrer guten Ansätze muss sie daher 'eindimensional' und an der Oberfläche des Verständnisses bleiben. In seinem Bemühen, Platon Flüchtigkeitsfehler nachzu-weisen, um seine persönlichen Thesen in Einklang mit dem Atlantisbericht zu bringen, ver-nachlässigt Tributsch u.a. eine eingehende und umfassende Untersuchung desjenigen Quellen-Materials der Atlantida, das ihn für seine Präsentation nicht zu interessieren scheint: des proto-hellenischen Komplexes.

Da er somit - wie viele Atlantisforscher - geflissentlich ausblendet, dass zumindest EIN TEIL des im Atlantis-Bericht verarbeiteten Materials NICHT aus dem Neolithikum/Mesolithikum (und ebenfalls NICHT aus dem Oberen Paläolithikum) stammen kann, sondern eindeutig bronzezeit-lichen bzw. spät-mykenischen Ursprungs ist, verkennt er (ebenso wie diejenigen, die einzig auf die Bronzezeit fixiert sind) völlig den synthetischen Charakter der Atlantida, in der Platon of-fenbar Überlieferungen aus unterschiedlichen, chronologisch zu differenzierenden, Perioden zusammengeführt und miteinander verschmolzen hat.