Der 'Atlantis-Tempel' des J. M. Valentine

(bb) Dass in vielen Fällen auch durchaus ernsthafte Forscher im "Atlantisfieber" zu verfehlten "Schnellschüssen" verleitet werden können, zeigt das Beispiel von Dr. J. M. Valentine. Wie viele andere Atlantis-Begeisterte fieberte auch Valentine, ein Zoologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bishop-Museum in Honolulu, Ende der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts dem erhofften Wieder-Auftauchen der westlichen Teile von Atlantis ("Poseidia") entgegen, das Edgar Cayce 1940 vorausgesagt hatte. Als einer von vielen Cayce-Anhängern hielt auch er 1968 systematisch in der Bimini-Region Ausschau nach Anzeichen für das erwartete Ereignis und nach Relikten der Atlanter.


Abb. 1 Dieser angebliche "Tempel der Atlanter" entpuppte sich in der Folge als neuzeitliches Objekt, möglicherweise ein Schwammzucht-Gatter, das vermutlich erst vor wenigen Gererationen erbaut wurde.

In Miami, wo er sich als ehrenamtlicher Kurator des Wissenschaftlichen Museums engagierte, berichten die Piloten Robert Brush und Trigg Adams - beide ebenfalls Anhänger des "Schlafenden Propheten" - Valentine von einer aufregenden Entdeckung, die sie kurz zuvor gemacht hatten. Auf einem Routineflug von Miami nach Nassau, der Hauptstadt der Bahamas, hatten sie "Sichtkontakt mit dem Eiland Pine Cay, nördlich der Insel Andros, der größten Insel des Archipels. Plötzlich bemerkten die beiden eine vollkommen klare, rechteckige Struktur im Wasser unter sich. Was sie sahen, wurde später als Grundmauern eines Gebäudes identifiziert, in dem das östliche Viertel durch eine interne Mauer abgeteilt war." (+1)[1]

Gemeinsam mit Dimitri Rebikoff (Abb. 2), einem französischen Ozeanographen und Unterwasserforscher, startete Valentine in der zweiten Augusthälfte des selben Jahres eine Tauchexpedition, um das mysteriöse Objekt (Abb. 1/3) selber vor Ort in Augenschein zu nehmen: "Valentine und Rebikoff stellten fest, dass die Unterwasserstruktur ungefähr 20 mal 34 Meter maß und eine exakte Ost-West-Ausrichtung aufwies. Unter einer dicken Schicht dunklen Seegrases fanden sie sorgfältig gemauerte, etwa ein Meter dicke Kalksteinblöcke. Überzeugt davon, dass es sich um die Ruine einer verlorenen Zivilisation handelte, gründeten Valentine und Rebikoff gemeinsam mit Brush und Adams die Marine Archaeology Research Society (Gesellschaft für Meeresforschung und -archäologie, MARS), um unter diesem Banner nach weiteren Hinweisen auf ungewöhnliche Unterwasserstrukturen zu suchen." (+2)[2]

Darüber hinaus waren alle Beteiligten an diesem Unternehmen nun restlos davon ünerzeugt, dass es sich bei diesem Fund um einen "unumstößlichen Beweis" für die Richtigkeit der Prophezeiungen von Cayce handele. So veröffentlichten sie am 23. August 1968 eine Presseerklärung, in der sie reichlich vorschnell die Entdeckung einer "Atlantis-Tempelstätte" bekannt gaben. "Die Wände sind schräg. Ich grub im Sand und kam ungefähr einen Meter tiefer. Die Wände gehen offenbar noch viel tiefer, aber wie tief genau, werden wir erst wissen, wenn wir sie ganz ausgegraben haben. Sie bestehen aus glatten Mauersteinen, die eindeutig von Menschenhand stammten." (+3)Referenzfehler: Für ein <ref>-Tag fehlt ein schließendes </ref>-Tag.


Abb. 2 Der französische Forscher, Taucher und Erfinder Dimitri Rebikoff

Natürlich machte Valentine auch mit dieser zweifelhaften Entdeckung Schlagzeilen, der bald weitere folgten: "Wie berichtet wurde, befand sich ein zweites, etwas kleineres, Gebäude etwa eine halbe Meile entfernt. (...) Es gibt nun Verhandlungen mit der Regierung der Bahamas über die Ausgrabung des gesamten Bauwerks und möglicherweise auch anderen Teilen des Gebiets. (...) Dr. Valentine sagte, einleitenden Untersuchungen von Stücken der Stein-Stätte zufolge, habe sie möglicherweise ein Alter von 500 bis 1000 Jahren. Es gebe zudem auch Hinweise auf eine Art von Gips, der verwendet worden sei, und dies werde Gegenstand der konventionellen Karbon-Tests sein, um das Alter definitiv zu bestimmen. Nach wie vor könne sie viel älter und Teil der Atlantis-Legende sein, sagte Dr. Valentine. >Ein oberes Limit von fünfhundert Jahren ist nicht unkonservativ, aber eine mögliche Ausdehnung in die ferne Ver-gangenheit könnte solch eine Angabe um ein mehrfaches multiplizieren<." (+5)[3]


Abb. 3 Eine vergrößerung des oben gezeigten Bildes der Anlage, die R. Brush und T. Adams im Sommer 1968 entdeckten.

Selbst wenn Valentines Atlantis-Tempel-These auf stabilerem Fundament geruht hätte, wäre der Sturm wissenschaftlicher Empörung unvermeidbar gewesen, der nun losbrach. Es waren jedoch nicht nur orthodoxe Mainstream-Wissenschaftler, die hier ihre Zweifel äußerten. Zu anderen Schlüssen als Valentine und seine Gruppe kamen auch Forscher, die alternativ-historische Überlegungen grundsätzlich keineswegs ablehnten. So untersuchte beispielsweise Dr. David Zink (Bild), ein Englischprofessor an der Luftwaffen-Akademie in Colorado, Ende der siebziger Jahre die Anlage noch einmal eingehend mit seinem Taucher-Team. Bei Andrew Collins heißt es dazu:

"Die Taucher fanden heraus, dass die Mauern nicht aus großen Kalksteinblöcken bestanden, sondern aus lose aufgestapelten kleineren Steinen. In seinem Buch 'The Stones of Atlantis', das 1978 herauskam, schrieb Zink, John Keasler, ein Reporter von den Miami News, habe einen Mann aus Andros, einen gewissen Reuben Russel, interwiewt, und dieser habe gesagt, er sei beim Bau der Struktur dabei gewesen. Es handle sich um ein Schwammgehege, daß sie in den dreißiger Jahren für einen Gentleman aus Nassau angelegt hätten." (+6)[4]

Collins erwähnt auch das 1979 erschienene Buch "Quest for Atlantis" des Anomalisten R. Cedric Leonard, der das Objekt selber im Juni 1970 besichtigt hatte. Leonard berichtet dort: "Die Einheimischen der Gegend glauben seit mindestens drei Generationen, diese Ruine sei der Überrest einer Einfriedung, in der einmal Konchamuscheln und Schwämme gelagert wurden. Es gibt viele solche Gehege in der Gegend, doch kein anderes hat Steinmauern. Üblicherweise handelt es sich um viel leichtere und kleinere Holzkonstruktionen, die tiefer unter Wasser lagen, sodass sie kein Hinderniss für Boote darstellen. Außerdem haben sie normalerweise weder perfekt gerade Begrenzungen noch exakt rechtwinklige Ecken." (+7)[5]

David Zink blieb allerdings bei seiner Annahme, dass dieses Objekt zwar keinesfalls ein 10000 Jahre alter Atlantertempel sei, immerhin auch nicht aus jüngster Vergangenheit stamme. "Die große Entfernung zur Küste schien dagegen zu sprechen, dass die Anlage für die Schwammzucht benutzt worden sein könnte. Außerdem wäre sie für Fischerboote, die sich den Mauern näherten, zu gefährlich gewesen, denn sie befand sich nur einen Meter unter der Wasseroberfläche." (+8)[6]

Letztlich ist das Rätsel um dieses mysteriöse Bauwerk bis heute nicht völlig gelöst. Wir können aber mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass es sich dabei nicht um ein Relikt aus ferner Vorzeit handelt. Auch irgend ein konkreter Bezug zu Atlantis lässt sich bei diesem Objekt nicht nachweisen.


Anmerkungen und Quellen:

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Bild-Quellen:

(1) http://www.violations.dabsol.co.uk/search/searchpart2.htm

(2) http://www.auas-nogi.org/drebikoff.htm

(3) http://www.violations.dabsol.co.uk/search/searchpart2.htm

  1. Andrew Collins, Neue Beweise für Atlantis, Scherz, 2001, S. 337
  2. ebd., S. 338
  3. Quelle: http://www.zetatalk.com/info/tinfo26f.htm
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