Das Phänomen der Vertuschung

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Über den Umgang mit unerwünschten Funden in der Urgeschichtsforschung

von Michael Brandt

Vor allem hat das Aufkommen neuer Hypothesen, Theorien oder Paradigmata einen großen Einfluss: Beobachtungen, die im Zusammenhang einer älteren Theorie relevant erschienen, in ihrem Sinn interpretiert wurden und sie zu bestätigen schienen, die Explikationen dieser Theorie und aus ihr deduzierten Folgerungen werden als uninteressant, obsolet oder schlechthin als falsch angesehen, wenn eine andere Theorie auf den Plan tritt, neue Erklärungsmuster anbietet und den Blick auf bisher nicht entdeckte oder nicht beachtete Phänomene lenkt. Diese an sich legitime Entwicklung birgt die Gefahr, dass theorie-invariante Fakten, die auch für die moderne Erkenntnis von Bedeutung sein könnten, im älteren Schrifttum vergraben bleiben und dem Gedächtnis der Scientific Community entfallen“. (Wolf von Engelhardt & Jorg Zimmermann 1982, S. 48).


Die Behandlung und Ablehnung sperriger Daten im Rahmen etablierter Theorien wie im Falle der tertiären Steinwerkzeuge ist [...] kein Einzelfall. Dies haben schon Cremo und Thompson (2006, S. 71-72) erkannt, deren Ausführungen sehr aufschlussreich sind und denen deshalb im Weiteren teilweise wörtlich gefolgt wird.

Ist ein Fund etwas ungewöhnlich, kann er nach einigen Streitigkeiten doch anerkannt werden. Ist er mehr als ungewöhnlich, so wird er vielleicht eine Zeitlang von einigen Wissenschaftlern geprüft und von der großen Mehrheit abgelehnt. Und schließlich finden sich einige Beobachtungen, die zu den anerkannten Theorien so stark im Widerspruch stehen, dass sie von keinem Wissenschaftler je akzeptiert werden. Gewöhnlich nehmen sich aber wissenschaftliche Laien solcher Befunde an und veröffentlichen sie in populären Büchern und Zeitschriften. Mit der Änderung von Theorien im Laufe der Zeit kann sich auch der Status von ungewöhnlichen Beobachtungen ändern. So können zunächst abgelehnte Beobachtungen wie z.B. im Falle der Kontinentverschiebung einen wissenschaftlich akzeptierten Status erlangen, wenn sie in neue Theorien passen.

In anderen Fällen können anerkannte Funde oder gerade noch so eben anerkannte Daten mit der Theorieänderung derart außergewöhnlich werden, dass sie von der Wissenschaftlergemeinschaft nun vollständig zurückgewiesen werden (ebd., S. 71), zumeist mit schlecht begründeten Argumenten, die noch so lange vorgebracht werden, bis sie die unerwünschten Befunde zum Verschwinden aus der Diskussion gebracht haben. Dieser Prozess der Ablehnung verläuft gewöhnlich ohne sorgfältige Prüfung der Befunde. Zeit und Energie des Menschen sind begrenzt, und die meisten Wissenschaftler konzentrieren sich lieber auf positive Forschungsergebnisse, als ihre Zeit mit der Überprüfung unbeliebter Behauptungen zu verbringen.

In der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird dann das Gerücht verbreitet, bestimmte Funde seien unecht oder ihre Deutung sehr zweifelhaft, und dies genügt den meisten Wissenschaftlern, um sich von dem abgelehnten Material ebenfalls zu distanzieren. Wenn Theorien sich ändern und bestimmte Funde und ihre Deutung nun nicht mehr annehmbar sind, kommt gewöhnlich eine Zeit, in der bekannte Wissenschaftler systematisch die Akzeptanz unerwünschter Funde öffentlich bekämpfen, was einige Wissenschaftler des British Museum drastisch als „Vernichtungskriege“ bezeichnet haben.

Sind die Angriffe erfolgreich, dann erkennen die meisten Wissenschaftler nach einigen letzten Versuchen der Widerlegung durch hartnäckige Verfechter, dass es ihrer Karriere schaden könnte, wenn sie das unerwünschte Material weiterhin rechtfertigen und damit in Verbindung gebracht werden. Über das zurückgewiesene Material breitet sich ein Mantel des Schweigens aus und es existiert nur noch in vergilbenden Blättern alter fachwissenschaftlicher Zeitschriften. Eine Zeit lang werden die Funde vielleicht noch in Fußnoten abschätzig genannt. Dann wächst eine neue Generation von Wissenschaftlern heran, der die einstige Sachlage größtenteils unbekannt ist (ebd., S. 71). Will man alte ungewöhnliche Funde heute angemessen beurteilen, kommt man nicht umhin, sich vom geringschätzenden und abwertenden Ton der Gegner der Funde nicht abschrecken zu lassen und die Funde sowie die in den alten Arbeiten aufgeführten Argumente im Detail zu prüfen (ebd., S. 72). Dieser Aufgabe hat sich der Autor von "Vergessene Archäologie" im Falle der tertiären Steinwerkzeuge ausführlich unterzogen.


Literatur

  • Cremo MA & RL Thompson (2006) Verbotene Archäologie. Rottenburg