Katastrophenzeit 12. Jahrhundert v. Chr.: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 26. August 2016, 22:58 Uhr

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Einführung

Verschiedene Katastrophentheorien befassen sich damit, die massiven kulturellen und gesellschaftlichen Umwälzungen im ausgehenden 13. Jahrhundert v.Chr. sowie während des 12. Jahrhundert v.Chr., sowohl in Europa als auch im Nahen Osten, durch eine Anhäufung von Naturkatastrophen zu erklären. Dabei werden Verbindungen zwischen gut belegten regionalen und überregionalen Einzelereignissen hergestellt. [1] Auch die These vom so genannten "kulturellen Kollaps in der späten Bronzezeit" will die Phänomene jener Periode auf diese Weise verbinden. [2] Diese Modelle gipfeln in der Annahme, dass jene Naturkatastrophen eine Völkerwanderung ausgelöst haben, die von Zentraleuropa über die Ungarische Tiefebene, Griechenland, Anatolien und die Levante bis nach Ägypten führte. [3] Solche - inzwischen von diversen Historikern, Archäologen und anderen Fachwissenschaftlern eingehend untersuchtem - Zusammenhänge zwischen katastrophischen Naturereignissen und großräumigen gesellschaftlichen bzw. kulturellen Umbrüchen werden vom größten Teil der etablierten Fachwelt noch immer in Abrede gestellt oder ignoriert.

Erscheinungsformen

Abb. 1 Eruption des Ätna im Jahre 2002, fotografiert aus der ISS

Bereits um 1600 v.Chr. war die Vulkaninsel Santorin explodiert und hatte keineswegs nur die dortige Siedlung der Kreto-Minoer ausgelöscht, sondern darüber hinaus auch in großer Entfernung ungeheure Schäden angerichtet. Dieses Ereignis, das als Minoische Eruption bekannt ist, löste z.B. enorme Tsunamis aus, welche die Inseln und Küsten der Ägäis und des östlichen Mittelmeers verheerten. Der ungeheure Ausstoß an vulkanischen Aschen, Bimsstein etc. brachte zudem auch gravierende Konsequenzen mit sich, die sich nicht auf den Mittelmeer-Raum [4] beschränkten. Sie beeinträchtigten sogar weltweit die Atmosphäre. Letzteres konnten Experten anhand dendrochronologischer Untersuchungen an Bäumen aus Kalifornien, Irland und Anatolien nachweisen Um 1200 v.Chr. kam es dann zu einer auffälligen Häufung von Erdbeben und Vulkanausbrüchen in Europa. [5] Einige Forscher datieren beispielsweise große Ausbrüche des Hekla in Island oder den des Ätna auf Sizilien in diese Zeit. Sie leiten aus den Eruptionen dann Auswirkungen wie Sonnenverfinsterung, Absenkung der Temperatur und Subsistenzkrisen ab. Ein umfassender Niedergang von Flora und Fauna wird beschrieben. Die Universität Toulouse beweist eine plötzliche Abkühlung der Temperatur mit anschließender Dürreperiode für diese Zeit an Hand fossilen Blütenstaubs aus einem Salzsee auf Zypern. [6] Fachleute sprechen von einer 'kleinen Eiszeit'. Die Laubwälder Skandinaviens waren bis 1000 v.Chr. völlig verschwunden. Außerdem setzte damals ein spürbarer Rückgang der Bevölkerung im heutigen England und in Griechenland ein.

Abb. 2 Ausgrabungen und Rekonstruktion in Knossos

In vielen archäologischen Ausgrabungsstätten lassen sich heute die Auswirkungen auf die Hochkulturen von damals nachweisen. So wurde auch das berühmte Troja um 1250 v.Chr. durch ein Erdbeben zerstört, ebenso Ugarit. Auch aus Mykene und Tiryns sind Erdbebenschäden aus jener Zeit bekannt. Außerdem konnte eine verheerende Überschwemmung in Tiryns nachgewiesen werden. Im andalusischen Ronda soll damals der Stadtfelsen von einem Erdbeben gesprengt worden sein. Untersuchungen von Pollen des Olivenbaums aus Sedimentschichten im Toten Meer beweisen einen großräumigen Klima-Kollaps exakt um 1250 v.Chr. Auch die Universität Göttingen beschreibt in einer Präsentation zur Klimageschichte einen Temperatursturz zu jener Zeit.

Ursachen

Abb. x Rekonstruktion des Temperaturverlaufs der Erde während der letzten 12.000 Jahre

Als Ursache all dieser Phänomene kommen sowohl globale tektonische Verwerfungen, Plattenverschiebungen im Atlantik und im Mittelmeer sowie Meteoriteneinschläge [7] ebenda in Frage. Der Kaali-Meteoritenkrater könnte beispielsweise aus dieser Zeit stammen. In jüngster Zeit werden auch Erdrutsche durch das Kollabieren von Teilen der Kanarischen Inseln diskutiert. [8] Die möglichen Folgen wären in jedem Fall Mega-Tsunamis, Vulkanaktivitäten, Klimaveränderungen und Niedergang der Landwirtschaft gewesen. [9][10]

Auswirkungen

Abb. x Seeschlacht im Nildelta zwischen den Streitkräften von Ramses III. und den „Seevölkern“. Umzeichnung eines Wandreliefs im Tempel von Medinet Habu

In der Zeit der Naturkatastrophen um 1200 v.Chr. werden große Völkerwanderungen und gesellschaftliche Umwälzungen in ganz Europa und dem Nahen Osten regional und in Einzelereignissen beschrieben. [11] Bereits um 1650 v.Chr. waren indoeuropäische Völker in den Vorderen Orient eingedrungen und hatten große Reiche wie das der Hethiter in Anatolien gegründet. Um 1200 v.Chr. fielen dann die so genannten Seevölker mit Schiffen und Streitwagen über den östlichen Mittelmeer-Raum her. So wird es in ägyptischen Hieroglyphen beschrieben. Wer sie waren und woher sie kamen, ist für Historiker nach wie vor eine offene Frage.

Nachgewiesen ist aber der Untergang großer Kulturen in jener Zeit: die mykenischen Zentren auf dem griechischen Festland (Pylos, Mykene, Tiryns, Theben etc.) und auf Kreta, das bedeutende Handelszentrum Ugarit in Syrien und letztlich auch das hethitische Großreich in Anatolien. Außer in Athen findet sich in fast allen Ausgrabungsstätten der Region damals eine Brandschicht. Die Palastwirtschaft in Griechenland brach zusammen, die Bevölkerung schrumpfte und die griechische Linearschrift B ging verloren. Die nachfolgende Zeit gilt als die Epoche der dunklen Jahrhunderte. Um die gleiche Zeit wird auch die so genannte Dorische Wanderung angesetzt, über welche die Informationen so spärlich sind, dass sie von vielen Historikern ins Reich der Fabel verwiesen wird. Nachgewiesen aber sind Völkerbewegungen von Zentraleuropa nach Griechenland hinein, die unter anderen auch die Spartaner heranführte. [12] In der Mythologie waren sie so schnell erfolgreich, dass ihr König Menelaos die Griechen nach Troja führen konnte. Auch dort findet sich in der archäologischen Schicht VIIa – ca. 1200 v.Chr. – ein Brandhorizont mit wahrscheinlicher Fremdeinwirkung.

In etwa gleichzeitig setzten viele mykenisch geprägte Griechen nach Anatolien und Zypern über und gründeten neue Städte. In den Hypothesen zur Katastrophenzeit wird diese Kolonisation entweder als Flucht oder als Invasion beschrieben. Über die in historischen Quellen beschriebene Zerstörung von Ugarit wird dann der Zusammenhang mit den Seevölkern hergestellt. Diese waren nämlich nicht nur aus Libyen und vom Meer her ins Niltal eingedrungen, sondern auch aus Palästina heraus: Doch die Ägypter konnten die Seevölker aufhalten: 1208 v.Chr. besiegte der ägyptische Pharao Merenptah die vereinten libyschen Stämme und Seevölker in der Schlacht bei Sais – ein Erfolg, den sein Nachfolger Ramses III. um 1177 v.Chr. wegen weiterer Angriffe erneut erkämpfen musste. Einige der Migranten aber setzten sich fest: wie die Philister in der Küstenebene Palästinas und die Phryger in Zentralanatolien.

Modell der Siedlung

Auch in Mitteleuropa sind gravierende Veränderungen um 1200 v.Chr. ausgemacht worden: An ungewöhnlich vielen Orten entstanden in kurzer Zeit befestigte Höhensiedlungen, so genannte Wallburgen, wie sie zuerst auf der Iberischen Halbinsel mit Los Millares entdeckt wurden. [13] [14] Experten sind sich noch uneins, ob sie von den siegreichen Invasoren oder den Ansässigen zum Schutz gebaut wurden. Nachgewiesen aber ist, dass von einigen dieser Wallanlagen in den nächsten Jahrhunderten die Geschicke der jeweiligen Region bestimmt wurde.

Abb. x Bronzehelm der Urnenfelderzeit aus Thonberg in Oberfranken, einer der ältesten Helme nördlich der Alpen

Gleichzeitig kamen in Mitteleuropa völlig neue Verteidigungssysteme und Waffen zum Einsatz, wie die ersten Kriegshelme nördlich der Alpen. Auch das Schlachtfeld im Tollensetal, heutiges Mecklenburg-Vorpommern, wird in diese Zeit gelegt. [15]

Verbreitung der Urnenfelderkultur
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ausgegrabenes spätbronzezeitliches Urnengrab im Botanischen Garten Marburg

Dazu wurde in Mitteleuropa eine vollkommen neue Begräbniskultur eingeführt: Statt wie bisher die Toten aufwendig in Hügelgräbern zu bestatten, verbrannte man sie nur noch und setzte sie in Urnen bei. [16] Diese rasch und ohne erkennbaren Vorläufer entstandene Urnenfelderkultur breitete sich zwischen 1200 und 800 v.Chr. vom spanischen [ Katalonien] über das [ Pariser Becken] im Westen, bis nach Italien und Ungarn im Osten aus. Die Ursachen für diesen Kulturwandel werden auch mit Naturkatastrophen und Wanderungen in Verbindung gebracht. Nachdem Elemente der [ Urnenfelderkultur] ebenfalls im östlichen Mittelmeer-Raum gefunden wurden (Leichenverbrennung, Töpferware, Waffen, Rüstungen) [17] sehen einzelne Autoren einen Zusammenhang zwischen den Geschehnissen in [ Mitteleuropa] und im [ Nahen Osten]. [18] Die Palette der Theorien aber reicht von Hungerrevolten, Aufstände der Söldnereliten bis hin zu lokalen Kriegen. Populärwissenschaftliche Forscher postulieren zudem einen Atlantiktsunami während der Katastrophenzeit im 12. Jahrhundert v.Chr., der Spanien, Frankreich und England in weiten Teilen überspült und die Reste der dort lebenden Völker vertrieben hätte.[19]


Weblinks


Anmerkungen und Quellen

Dieser Beitrag von 2hinzkunz et al. erschien erstmals 2015 als Lemma in der deutschsptschigen Wikipedia, wo er am MARJORIE-WIKI

Fußnoten:

  1. Siehe: Beiträge zur Prähistorischen Archäologie zwischen Nord- und Südosteuropa: Eine Katastrophen-Theorie zum Beginn der Urnenfelderkultur, Frank Falkenstein, Uni Heidelberg, Verlag Marie Leidorf GmbH Espelkamp 1997, S. 549–561
  2. Siehe: R. Drews, The End of the Bronze Age. Changes in Warfare and the Catastrophe ca. 1200 B.C. (Princeton 1993)
  3. Siehe: Apokalypse in der Bronzezeit – Das Ende der ersten Hochkulturen, ZDF History Film-Dokumentation
  4. Anmerkung: Bei Vulkane.net heißt es dazu: "Die Eruptionswolke erhob sich bis weit in die Stratosphäre. Höhenwinde transportierten die Asche über den gesamten Mittelmeerraum. Selbst in Ägypten verdunkelte sich der Himmel und es regnete Asche." (Quelle, abgerufen: 24. August 2016)
  5. Siehe: Dirk Husemann, "Das große Beben", in: Bild der Wissenschaft. Nr. 12/2014, Konradin, Leinfelden-Echterdingen Dezember 2014, S. 58–65
  6. Siehe: Fachjournal "PLOS One", Studie von Wissenschaftlern um David Kaniewski von der Universität Paul Sabatier in Toulouse zum Globalen Klimawandel
  7. Anmerkung: Prof. Dr. Peter Horn von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie u. Geologie, München, bemerkte in einem Vortrag: "Impakt war und ist nicht nur ein gewöhnlicher geologischer Prozess, sondern auch relevant für sozio-kulturelle Entwicklungen menschlicher Gesellschaften, besonders an Küsten, welche bei Impakt in den Weltmeeren besonders durch Tsunamis gefährdet sind." Quelle: Peter Horn, "100 Jahre nach Tunguska. Katastrophale Kollisionen kosmischer Körper mit der Erde in historischer Zeit", in: Bernd Herrmann (Hrsg.), Beiträge zum Göttinger Umwelthistorischen Kolloquium 2009 - 2010, Universitätsverlag Göttingen, 2010, S. 134
  8. Siehe dazu bei Atlantisforschung.de: Stefanie Kriner, "Zeitbombe La Palma - Erdrutsch auf der Kanareninsel mit katastrophalen Folgen?"
  9. Siehe: Karl-Joachim Hölkeskamp, Elke Stein-Hölkeskamp: Vom Palast zur Polis – die griechische Frühgeschichte als Epoche. in: H.-J. Gehrke, H. Schneider (Hrsg.): Geschichte der Antike. Ein Studienbuch. Stuttgart/Weimar 2006 (2. Aufl.), S. 53–59. ISBN 3-476-02074-6
  10. Margarita Primas: Bronzezeit zwischen Elbe und Po. Strukturwandel in Zentraleuropa 2200–800 v. Chr. Habelt, Bonn 2008, ISBN 978-3-7749-3543-3
  11. Siehe: Gustav Adolf Lehmann, Umbrüche und Zäsuren im östlichen Mittelmeerraum und Vorderasien zur Zeit der „Seevölker“-Invasionen um und nach 1200 v. Chr. Neue Quellenzeugnisse und Befunde. In: Historische Zeitschrift. Nr. 262, 1996, S. 1–38
  12. Siehe: J. Maran, Tiryns. Mauern und Paläste für namenlose Herrscher. In: Archäologische Entdeckungen. Die Forschungen des deutschen Archäologischen Instituts im 20. Jahrhundert. 2000
  13. Siehe: Albrecht Jockenhövel (Hrsg.), Älteres eisenzeitliches Befestigungswesen zwischen Maas/Mosel und Elbe. Internationales Kolloquium am 8. November 1997 in Münster anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Altertumskommission für Westfalen. (Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen, 11). Münster 1999, ISBN 3-402-05036-6
  14. Siehe: M. Carrilero Millán und A. Suárez Marques, El territorio almeriense en la prehistoria. Almeria 1997, ISBN 84-8108-134-5
  15. Siehe: Hans Holzhaider, Archäologie auf dem Schlachtfeld - Mit Holzkeulen gegen Bronzepfeile, in: Süddeutsche Zeitung, 22. Juli 2011
  16. Siehe: Rosemarie Müller, "Urnenfelderkultur", in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 31, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2006, ISBN 3-11-018386-2, S. 549–558
  17. Siehe: Wolfgang Kimmig, Seevölkerbewegung und Urnenfelderkultur, Böhlau Verlag Köln und Graz 1964
  18. Siehe: B. Hänsel, Lausitzer Invasion in Nordgriechenland?, in: Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte I, Berlin (VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften), 1981, S. 207 ff.
  19. Siehe z.B.: Jürgen Hepke, Das Atlantis von Platon in Puerto de Santa Maria in Andalusien/Spanien (abgerufen: 17. August 2016)

Literatur:

  • Hans-Günter Buchholz: Ägäische Bronzezeit, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, ISBN 3-534-07028-3, S. ?.
  • Michael Heitzer: The Rural Community in Ancient Ugarit. Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1976, ISBN 978-3-920153-61-2, S. ?.
  • Werner Widmer: Zur Darstellung der Seevölker am Großen Tempel von Medinet Habu. In: Zeitschrift für Ägyptische Sprache und Altertumskunde 102, 1975, S. 67–77.Beiträge zur Prähistorischen Archäologie zwischen Nord- und Südosteuropa, Verlag Marie Leidorf GmbH Espelkamp 1997, S. 549–561
  • Kurt Bittel: Die Hethiter. Beck, München 1976, ISBN 3-406-03024-6, S. ?.
  • Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg: Troia. Traum und Wirklichkeit. Theiss, Stuttgart 2001, ISBN 3-8062-1543-X, S. ?.

Bild-Quellen:


Katastrophenzeit 12. Jahrhundert v. Chr.